Frau Annette Schüller ist Mitglied der katholischen Pfarrgemeinde St. Margareta in Düsseldorf-Gerresheim und in der Frauen-Initiative Maria 2.0 aktiv, einer von Frauen in der katholischen Kirche gegründeten Bewegung. Fünf Frauen aus Münster setzten sich 2019 das Ziel, gegen die Ursachen der sexualisierten Gewalt innerhalb der katholischen Kirche vorzugehen. Ich freue mich, dass Frau Schüller sich für die Beantwortung der folgenden Fragen bereitgefunden hat.
Frau Schüller, bitte erzählen Sie uns, welche Forderungen die Reforminitiative Maria 2.0 von der Kirche erfüllt wissen möchte und was Sie persönlich dazu bewegt hat, sich dieser Initiative anzuschließen?
Annette Schüller: Der Grund, warum ich mich der Initiative Maria 2.0 angeschlossen habe, ist die Forderung, dass die Kirche wieder glaubhaft wird, in der das Evangelium auch gelebt und nicht nur verkündet wird. Das ist für mich die wesentlichste Forderung. Die Kirche muss ein Ort sein, an dem sich jede/r angenommen fühlt und wertgeschätzt wird, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche sexuelle Identität ein Mensch hat. Wir sind vor Gott alle gleich, und damit verbunden, ist die Hinfälligkeit der patriarchalen Hierarchien!
Die aktuellen Krisen wie der Krieg in der Ukraine, die rasant steigenden Preise für Energie und Lebensmittel, aber auch die weiterhin kursierende Corona Pandemie scheinen Maria 2.0 in den Hintergrund gedrängt zu haben. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Initiative? Sind derzeit Aktionen geplant?
Annette Schüller: Der Eindruck angesichts der derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Situation kann entstehen. Allerdings sind durch die bundesweite Vernetzung der Maria 2.0 Gruppen von Hamburg bis München monatliche Aktionen zu finden.
Im Erzbistum Köln haben wir uns zu „Maria 2.0 im Rheinland“ zusammengetan, so dass auch hier in diversen NRW-Städten, von Gottesdiensten bis hin zu politischen Nachtgebeten, Angebote stattfinden. Die Presse reagiert leider immer nur auf Aktionen, die medialen Erfolg haben, wie z.B. die „Rote-Karten-Aktion“ oder „Der Thesenanschlag“.
Wir warten nicht mehr, bis sich was von Oben bewegt, sondern wir machen!
Am 24./25.September 2022 wird in Köln eine KirchenVolksKonferenz stattfinden, bei der Maria 2.0 neben anderen Initiativen und katholischen Verbänden mitwirkt. Das besondere dieser Veranstaltung wird das Zusammentreffen der unterschiedlichen Gruppen sein, die sich alle mit einer grundsätzlichen Veränderung der Katholischen Kirche auseinandersetzen. Wir warten nicht mehr, bis sich was von Oben bewegt, sondern wir machen!
Eine für mich besondere „Aktion“ war kürzlich ein von Maria 2.0 gestalteter Gottesdienst in Düsseldorf-Gerresheim mit dem Thema „Sehnsuchtsorte“. Wir spüren sehr deutlich, dass viele Menschen, mich eingeschlossen, sich nach Spiritualität sehnen, statt nach weiteren Demonstrationen und Aktionen. Sehnsucht, den Glauben zu leben und diesen gemeinsam mit anderen Menschen zu teilen.
Glauben Sie, dass der seit Jahrhunderten behäbig dahin dümpelnde “Tanker” namens Katholische Kirche beweglich genug ist, den dringend erforderlichen Kurswechsel vorzunehmen? Oder kürzer gefragt: Haben Sie noch Hoffnung auf eine tiefgreifende Veränderung in der katholischen Kirche?
Annette Schüller: Ich gehöre zu den positiv denkenden Menschen – für mich gibt es noch Hoffnung. Allerdings könnte man nach den jüngsten Meldungen des Vatikan – er verbietet die in Deutschland im Synodalen Weg geplanten Reformen im Alleingang – meinen, dass der Tanker noch nicht mal mehr dümpelt.
Die Strukturen – Machtstrukturen – der katholischen Kirche begünstigen die Ursachen von Missbrauch und Gewalt. Und das nicht nur in Deutschland!
Aber wechseln wir die Perspektive, so bedeutet es doch auch, dass der Vatikan Deutschland viel Bedeutung beimisst und „Anerkennung“ zeigt. Anerkennung, die eher unbegründete Angst ist. Unbegründet, weil in der Satzung des Synodalen Weges schon festgehalten wurde, dass dieser ein „Forum“ ist, das außerhalb des Kirchenrechts liegt und damit die Beschlüsse nicht bindend sind.
Also sollten wir, die noch auf dem Tanker sind, erst recht dafür sorgen, dass die Beschlüsse bzw. Reformen bindend werden, denn die Strukturen – Machtstrukturen – der katholischen Kirche begünstigen die Ursachen von Missbrauch und Gewalt. Und das nicht nur in Deutschland!
Angesichts der veröffentlichten Studie zu Missbrauch durch Priester im Bistum Münster ist eine der “Maßnahmen” von Bischof Felix Genn, die Bischofsgruft zu schließen. Drei Bischöfe, die dort liegen, haben laut der Studie Verbrechen vertuscht und so Täter geschützt. Was müsste Ihrer Ansicht nach tatsächlich passieren, damit es eine Kirche von morgen überhaupt noch gibt?
Annette Schüller: Menschen, die weiterhin die Erneuerung unserer Kirche gestalten und weiterhin das Gespräch zu Skeptikern suchen. Und das immer im Vertrauen zu Gott. Zum anderen Bischöfe und Priester, die ehrlich sind und aktiv mitwirken, Hierarchien bzw. Machtstrukturen aufzulösen.
Träume sind ein guter Motor, um etwas in Bewegung zu setzen.
Manch eine*r wird mich vielleicht für eine Träumerin halten, aber Träume sind ein guter Motor, um etwas in Bewegung zu setzen.
Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”
Annette Schüller: Gebet ist mein Begleiter im Alltag. So weiß ich meine Kinder und meinen Mann sowie Familie und Freunde behütet. Auch in meinen Beruf als Hospizkoordinatorin ist das Gebet ein Anker für mich, sowie in der gerade aktuellen Weltsituation. Gebet heißt für mich, verbunden sein mit Gott und den Menschen.
Ich danke für das Gespräch.