Weitergabe des Glaubens: Gott gar liebhaben

Imma Beiermann

Imma Beiermann ist Deutsch- und Religionslehrerin am Gymnasium am Neandertal in Erkrath. Sie schrieb den nachfolgenden Artikel für den Gemeindebrief „Gemeinde leben“, 2021, Ausgabe 85, der Katholischen Kirchengemeinde St. Johannes der Täufer und Mariä Himmelfahrt:

Von meinem Kölner Althochdeutschprofessor Johannes Rathofer, der ein tiefreligiöser Katholik war, weiß ich, dass das Wort „glauben“ sich aus dem althochdeutschen „galaubjan“ herleitet, was so viel bedeutet wie „für lieb halten“ bzw. „gar liebhaben“. Schon bei den heidnischen Germanen bezog sich „glauben“ auf das freundschaftliche Vertrauen eines Menschen zur Gottheit.

Johannes Rathofer hat als ganz junger Mann in den Schützengräben irgendwo in Russland seinen Mitsoldaten beim Beten geholfen. „Johannes“, sagte dann wohl einer, „du kannst doch beten. Sprich für mich ein Vaterunser!“ Manch einer, für den er gebetet hat, hat den Krieg nicht überlebt, aber der junge Soldat hat ihnen und auch sich selbst durch seine Fürbitte Trost gespendet.

Immer dann, wenn wir ehrlich unseren Glauben bekennen, mit all unseren Fragen, unserem Suchen und auch unserer Kritik an der Glaubensgemeinschaft Kirche, werden wir für die Kinder und jungen Menschen, die uns hinsichtlich der Weitergabe unseres Glaubens anvertraut sind, zu authentischen Zeugen der Botschaft Jesu Christi.

Schulklasse
Schulklasse
Foto: Pixabay

Religionsunterricht heute kann nicht mehr darauf vertrauen, dass da Kinder in der Klasse sitzen, die religiös in irgendeiner Weise sozialisiert sind. Meist zeigt sich hier ein buntes Spektrum von ungetauften Kindern, deren Eltern der Kirche fernstehen, aber dennoch aus mitunter ihnen selbst nicht ganz klaren Gründen die Teilnahme ihres Kindes am Religionsunterricht wünschen, über Kinder, die zwar getauft sind und vielleicht auch zur Erstkommunion gegangen sind, weil man das halt so macht, bis hin zu eher wenigen Kindern, die sich wirklich aktiv in einer Pfarrgemeinde z.B. als Messdiener oder Pfadfinder engagieren.

Diese Heterogenität gilt es im Religionsunterricht zu berücksichtigen: Meist geht das recht gut, wenn der Unterricht eher intellektuell auf Wissensweitergabe ausgerichtet ist im Sinne des Berliner Faches „Lebenskunde, Ethik und Religion“.

Immer dann aber, wenn es um Bekenntnis geht, und das wird vom/von der ReligionslehrerIn auch erwartet, kann es m.E. zu Sternstunden des Religionsunterrichts kommen, in denen wirkliche Weitergabe des Glaubens geschieht und deutlich wird, da hat jemand diesen Gott „gar lieb“.

Von einigen solcher Sternstunden möchte ich berichten.

Frau Beiermann, glauben Sie eigentlich an Gott?

Schülerin, 5. Klasse

Ein Mädchen in einer 5. Klasse fragt: „Frau Beiermann, glauben Sie eigentlich an Gott?“ Ich bin geneigt, rasch zu sagen: „Ja, hör mal. Ich bin doch Reli-Lehrerin!“ Im Sinne von: Das ist doch selbstverständlich! Dann merke ich: Was für eine Chance! Da fragt ein Kind wirklich nach deinem Glauben und du kannst erzählen davon, was Jesus Christus für dich bedeutet. Ich habe nicht zu viel gesagt, denn so lange währt die Geduld oft nicht, aber ich durfte Zeugnis ablegen für den Gott, den ich gar lieb habe.

In einer 8. Klasse sprechen wir über Homosexualität und den Umgang der Kirche mit schwulen Männern. Ich erzähle von einem schwulen jungen Mann, der es oft in der Kirche, in deren Mitte er aufgewachsen war, nicht leicht hat und von einer Begegnung, die er in Taizé zusammen mit seinem Freund hatte. Sie konnten mit Frère Alois, dem Nachfolger von Frère Roger sprechen, der auch ihnen die Liebe Gottes zusagte und ihre Beziehung segnete. Das ist der Gott, den ich gar liebhabe. Nach dem Unterricht kommt ein Schüler zu mir und bedankt sich bei mir, dass ich davon erzählt habe.

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Schwules Paar
Ein schwules Paar
Foto: Pixabay

In meinem Reli-Q2-Kurs ist ein junger Mann, dessen Familie der ägyptisch-koptischen Kirche angehört. Im Rahmen des Themas Ekklesiologie unternehme ich zunächst immer eine Standortbestimmung. Alle Kursmitglieder sollen sich mit Smilies hinsichtlich ihres Standortes innerhalb der Kirche verorten. Das „Bild“, das so an der Tafel entsteht, ist oft recht eindeutig: viele Fernstehende und nur wenige junge Menschen, die sich in der Kirche mit einem lachenden Smilie sehen. Wir sprechen über das so entstandene „Bild“ und der junge Mann erzählt von seiner Gemeinde. Seine Augen leuchten, als er uns erzählt, wie wichtig ihm die Gemeinde ist, dass er dort seine Freunde hat und sich zuhause fühlt. Im Kurs kann man eine Stecknadel fallen hören, weil alle spüren, da legt ein Mitschüler Zeugnis ab, er berichtet davon, dass er in diesem Kreis Gott gar liebhaben kann.

Weitergabe des Glaubens geschieht immer da, wo wir aufgerufen sind, Zeugnis abzulegen und bereit sind, dies authentisch zu tun. Das erfordert in dieser oft lauen bzw. gleich-gültigen Zeit sicher einen gewissen Bekennermut, gestaltet sich aber gar nicht unbedingt so schwierig, wenn wir die Chance ergreifen, von unserer Liebe zu Gott zu erzählen. Das Feedback jedenfalls ist erstaunlich und tut auch dem, der Zeugnis ablegt, gut.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns überall da, wo es möglich ist, von diesem Glauben erzählen, egal ob das im Religionsunterricht oder im Alltag jedes Einzelnen ist. Dazu gehört auch all unser Zweifeln, Suchen und unsere Kritik, denn das macht das Bekenntnis im Sinne eines „Trotzdem“ ja erst „echt“.

Das Zweite ist sicherlich die Erfahrung einer Gemeinschaft von Menschen, die dieses „Gar-lieb-haben-Gottes“ miteinander teilen.

Jugendliche müssen erfahren können, dass Kirche ein Ort der Freundschaft ist. Das ist die Grundlage für alles Weitere.

Frère Alois

Frère Alois hat 2018 in einem Interview gesagt:

In Taizé haben wir jedes Jahr viele zehntausend Jugendliche aus allen Teilen Europas zu Gast. Und wir erleben, wie viele Jugendliche sich heute die Frage stellen: Welchen Sinn hat mein Leben? Welche Hoffnung gibt es in dieser zerrissenen, sich rasch verändernden Welt? Und – was weit über Sexualität hinausgeht – was heißt Liebe, Angenommensein? So grundlegende Fragen treiben Jugendliche heute um, was immer auch eine spirituelle Dimension hat. Jugendliche müssen erfahren können, dass Kirche ein Ort der Freundschaft ist. Das ist die Grundlage für alles Weitere.

Wir brauchen keine Eventkirche, kein Klettern in der Apsis oder eine als anbiedernd empfundene Liedauswahl.

Jugendliche im Religionsunterricht

Ohne die Erfahrung von Kirche als einem Ort der Freundschaft verdunstet Glaube. Deshalb müssen wir jungen Menschen meines Erachtens abgesehen von unserem Bekenntnis, Gott liebevoll zu vertrauen, ermöglichen, Glauben und Leben miteinander zu teilen. Schaffen wir Orte authentischer Begegnung, denn das ist es, was Jugendliche mir seit vielen Jahren im Religionsunterricht sagen: Wir brauchen keine Eventkirche, kein Klettern in der Apsis oder eine als anbiedernd empfundene Liedauswahl. Seid echt, heißt uns willkommen, hört uns zu und bietet uns einen Ort der Freundschaft an.

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