Kerstin Höpner-Miech ist Pfarrerin im Pfarrsprengel Massen in der Niederlausitz. Zunehmende Anfragen zum seelischen Beistand ließen sie das Thema „Depression“ aufgreifen. Ich danke Frau Pfarrerin Höpner-Miech, dass ich ihre Predigt hierzu an dieser Stelle veröffentlichen darf:
Psychische Erkrankungen und darunter Depressionen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Sie betreffen jedes Lebensalter. Jede und jeder kann krank werden. Mich bewog zu dieser Predigt, dass eine Freundin und ein langjähriger Freund, ein Kollege, daran erkrankt sind und unter den Wellen der Depression leiden und schwer leben.
Das ist nicht neu. Unter dem Begriff „Melancholie“ war diese Krankheit schon in der Antike bekannt. Es ist keine Lebenseinstellung, sondern eine lebensbedrohliche Krankheit.
Der ganze Mensch ist davon betroffen. Das ist schwerwiegend, denn man sieht ihm äußerlich nicht an, dass er krank ist. Bei einer Operation, bei einem Arm- oder Beinbruch, da sieht man schon von außen, dass dieser Mensch krank ist und eine Weile braucht, bis er wieder in Gang kommt. Aber bei Depression ändert sich das Äußere eines Menschen nicht, aber alles inwendig.
Die Depression ist eine bleierne Schwere, die sich über einen Menschen legt.
Der Alltag gerät ins Wanken, die sozialen Beziehungen leiden. Arbeit ist kaum möglich. Es ist nicht ein „Nicht-Wollen“, das man depressiv Erkrankten oft unterstellt, es ist ein „Nicht-Können“. Es ist eine bleierne Schwere, die sich über einen Menschen legt. Manchmal geht kein Aufstehen mehr aus dem Bett. Das Naseputzen des Kindes zieht sich über Minuten. Alltagstätigkeiten gelingen nicht mehr. Das betrifft auch den Körper, die Seele, das Denken, alles! Auch die Beziehung zu Gott ist betroffen.
Man glaubt immer leichthin, dass Menschen, die fest im Glauben stehen, nichts umwerfen kann. Viele denken, wer nur fest glaube, der sei wenig anfällig für Stimmungsschwankungen oder Depressionen. Dagegen steht eine Erfahrung: Auch Christen werden depressiv.
Martin Luther litt an Schwermut, wie man damals sagte. Mutter Teresa kannte die Erfahrung von Verzweiflung und Finsternis. Auch große Theologen wie Sören Kierkegaard und Karl Rahner litten an schweren Depressionen. Vielleicht sind es gerade manchmal die sensiblen Seelen?
Jesus selbst litt menschliche Not. Er sagte: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“ (Mt 26) Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, sagen: Sie fühlen sich vom Leben abgeschnitten, von ihren Familienangehörigen; sie reden von Dunkelheit, Tiefe, Abgrund, sie empfinden sich als leer, wie gelähmt. Und wer das erlebt, weiß nicht, ob oder wann sich sein Zustand, sein Empfinden wieder bessern wird. Deshalb ist eine depressive Episode so schwer auszuhalten – auch für Angehörige.
In einer schweren depressiven Episode kommt es vor, dass sich Betroffene mit keinem Zuspruch mehr ansprechen lassen, dass sie gar nicht empfänglich sind für Worte des Trostes und der Hoffnung. Für die, die helfen wollen, gehört das zu den schlimmen Erfahrungen: Sie können nichts tun – außer da zu sein.
Depression ist eine schwere, aber behandelbare Erkrankung.
Es hilft nicht zu sagen: „Nun reiß dich doch mal zusammen!“, oder: „Du musst nur wollen!“ Dann fühlt sich der Erkrankte erst recht missverstanden, der ja ebenfalls unter seinem Zustand leidet. Missverstanden, isoliert, hilflos. Auch zu sagen: „Es wird schon wieder!“, führt nicht weiter. Das haben damals nämlich auch schon Hiobs Freunde versucht. Und er antwortet ihnen: „Hört doch meiner Rede zu und lasst mir das eure Tröstung sein.“ – heißt: Hört mir einfach zu, das ist mir Trost genug. Alles andere funktioniert nicht oder macht es schlimmer.
Was hilft, ist, dass die Angehörigen oder befreundeten Menschen wahrnehmen, was ist und den Erkrankten mit seiner verzerrten Sichtweise auf die Wirklichkeit annehmen und Wertschätzung vermitteln, vielleicht auch stellvertretende Hoffnung, nach dem Motto: „Ich weiß, dass du im Moment keinen Ausweg sehen kannst. Aber ich vertraue darauf, dass es für dich weiter geht, dass dein Weg aus dem Dunkel ins Licht führen wird. Aus der Hoffnungslosigkeit in neues Vertrauen. Ich hoffe und glaube heute stellvertretend für dich.“
Gott hat einen besonderen Glanz, ein Licht über unser aller Leben gelegt. Manchmal können Menschen dieses Licht nicht sehen. Sie sind keinem Trost mehr zugänglich. Aber wichtig ist, dass Gott immer nahe ist. In der Freude, in der Krankheit, im Leid, in der Gesundheit. In allem, was unser Leben betrifft.
Ein von Depression geheilter Mann sprach im Fernsehen einmal davon, dass er sich wie Jesus am Kreuz gefühlt hat. Leidend, verlassen, elend. Das Kreuz ist ein Sinnbild von Leid. Dass danach eine Auferstehung kommen würde, hat auch Jesus nicht gewusst. Er hat das Leid aushalten müssen, hat die Verzweiflung erlebt.
Unsere Gesellschaft prägt Ideale von Erfolg, Schönheit und Gelingen. Es ist wichtig, dass wir die nicht aus dem Blick verlieren, die dies nicht erleben und die diesen Ansatz nicht oder nicht mehr teilen wollen und können. Statistisch gesehen, betrifft eine behandelbare Depression 5 % der Frauen und 3 % der Männer in Deutschland. Das sind bei 80 Millionen Einwohnern etwa 3,2 Millionen. Viele trauen sich nicht zum Arzt zu gehen, darüber zu sprechen. Sie haben Angst vor Stigmatisierung und schämen sich, weil sie nicht so sind wie andere.
Nach einer ersten depressiven Episode erleben manche noch eine zweite oder dritte Phase. In einer dritten depressiven Episode seines Lebens hat Theodor Fontane in seinem 72. Lebensjahr einmal Folgendes geschrieben:
Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet hoffen, hassen, lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.
So geht es Menschen. Damals und heute. Elia, der große Prophet, war auch einer, der weglief vor Menschen, sich in der Wüste versteckte und sich den Tod wünschte. Es dauerte einige Zeit, bis der Engel es schaffte, ihn zum Aufstehen und zum Weitergehen zu bewegen. Er musste dreimal kommen, bis es gelang. Er sagte dann zu ihm: „Steh auf, du hast noch einen weiten Weg vor dir.“
Dass wir miteinander noch Wege vor uns haben, das wollen wir für uns und für andere hoffen. Ich hoffe, dass wir füreinander solche Engel sein können, die sich nicht vertreiben lassen, die nicht aufgeben und die Hoffnung verkörpern.
Kirchengemeinden sollen Orte sein, an denen sich Menschen willkommen fühlen mit allem, was ihr Leben zur Zeit ausmacht:
Allein oder inmitten einer Gemeinschaft.
Mit und ohne Kinder.
Gesund oder krank.
Fröhlich oder verzweifelt.
Gebe Gott, dass wir einander so tragen, wie wir es brauchen.
Amen.
Zu diesem Beitrag von Frau Höpner-Miech noch eine Bitte: Sollten Sie jemanden kennen, der an einer Depression erkrankt ist, dann kann es ein kleiner Trost sein, diesen Beitrag an den Erkrankten und/oder an die Angehörigen weiterzuleiten!
Weiterführende Informationen zum Thema Depression
Wir möchten Sie ermutigen, weiterführende Links und Hilfsangebote zu nutzen:
- beim Bundesgesundheitsministerium,
- beim Robert-Koch-Institut,
- bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sowie
- Angebote Ihrer Krankenkasse.
Telefonische Beratung erhalten Sie beim Info-Telefon der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.
In akuten Krisen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt, die nächste psychiatrische Klinik oder an den Notarzt unter der bundesweiten Telefonnummer 112.