Ich glaube an Gott – trotz der Kirche

Stefan Jürgens

Herr Stefan Jürgens ist katholischer Pfarrer in drei Pfarreien im münsterländischen Ahaus. Daneben verfasste er als Autor mehrere Werke, von denen das Buch “Ausgeheuchelt! – So geht es aufwärts mit der Kirche”, eine kritische Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche, besonders große Beachtung fand. Außerdem ist er der Autor der “Kleinen Gebetsschule”. In dieser Serie gibt Pfarrer Jürgens Denkanstöße zum “Beten auf der Bettkante”. Nicht zuletzt war er von 2004 bis 2008 Sprecher beim Wort zum Sonntag bei der ARD. Ich freue mich, dass Herr Jürgens sich die Zeit für dieses Interview genommen hat.

Herr Jürgens, wie eingangs erwähnt, haben Sie als Pfarrer das Buch „Ausgeheuchelt! – So geht es aufwärts mit der Kirche“ geschrieben. Was hat Sie zu diesen kritischen Ausführungen bewogen und was möchten Sie damit erreichen?

Pfarrer Stefan Jürgens: Ich glaube an Gott, und zwar dank, mit und trotz der Kirche. Ich verdanke der Kirche meinen Glauben, aber zugleich ärgert mich auch vieles in der Kirche, was nicht zum Glauben passt. Das Evangelium Jesu Christi ist ohne Zweifel das Beste, das Gott und Welt zu bieten haben. Weil mir dieser Glaube so wertvoll ist, weil aber die Kirche der Schönheit dieses Glaubens oft im Weg steht, möchte ich die katholische Kirche reformieren helfen.

Das Evangelium Jesu Christi ist ohne Zweifel das Beste, das Gott und Welt zu bieten haben.

Der klerikale Apparat ist jedoch schwerfällig und behäbig, deshalb versuche ich es einfach von der Basis her und melde mich öffentlich zu Wort. Ich möchte die Herausforderung annehmen, ein Christentum mitten in der Welt zu leben. Und dafür braucht es eine glaubwürdige, demokratische und transparente Kirche, die einladend ist statt abzuschrecken.

Es braucht eine Kirche, die einladend ist statt abzuschrecken
Foto: Achim Beiermann

An anderer Stelle auf dieser Website durfte ich Frau Mesrian von der katholischen Frauenbewegung Maria 2.0 interviewen. Wenn ich richtig informiert bin, unterstützen Sie diese Bewegung. Ist das für Sie als katholischer Priester nicht eine heikle Sache und was fordern Sie persönlich?

Pfarrer Stefan Jürgens: Das ist ganz und gar nicht heikel. Zwar ist die katholische Kirche von ihrer Struktur her eine absolutistische und dazu noch männerbündische Monarchie, aber dennoch gibt es die Debatte und das offene Wort. Wir brauchen gerade diejenigen, die sagen, was sie denken, und für eine reformoffene Kirche eintreten. Angst war noch nie ein guter Ratgeber, Angst ist auch das Gegenteil von Gottvertrauen. Jemand, der mit Zuversicht und Freimut benennt, was sich ändern muss, kann für die Kirche nur gut sein. Maria 2.0 setzt sich ganz zu recht für die Gleichstellung der Frau in der Kirche ein.

Wenn eine Religionsgemeinschaft die Hälfte ihrer Mitglieder von Leitungsämtern ausschließt, kann sie in der modernen Welt eigentlich einpacken.

Wenn eine Religionsgemeinschaft die Hälfte ihrer Mitglieder von Leitungsämtern ausschließt, kann sie in der modernen Welt eigentlich einpacken. Noch drastischer: Wer an einen Gott glaubt, der eine männerdominierte, frauenfeindliche und zölibatäre Hierarchie gewollte haben soll, der kann genauso gut an den Osterhasen glauben. Die derzeitigen Kirchenstrukturen sind nicht nur theologisch obsolet, sondern geradezu lächerlich.

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Seit Beginn der Corona-Krise laden Sie zu Ihrer “Kleinen Gebetsschule” für zu Hause ein. Was verbirgt sich hinter diesem Angebot und für welchen Adressatenkreis ist es gedacht?

Pfarrer Stefan Jürgens: Ich habe gemerkt, dass die meisten Menschen – auch die meisten Christinnen und Christen – nicht mehr beten können. Sie beten, wenn überhaupt, in der Kirchenbank, aber nicht auf der Bettkante. Ohne das persönliche Gebet jedoch wird Gott zu einem Niemand.

Ohne das persönliche Gebet wird Gott zu einem Niemand
Foto: Achim Beiermann

Wir können unsere Gottesbeziehung nur dann glaubwürdig und nachhaltig leben, wenn wir mit ihm im Gespräch sind. Die kleine Gebetsschule ist ein Angebot für alle Menschen, die sich Zeit nehmen wollen, ihre Beziehung mit Gott wieder ganz persönlich zu pflegen. Die kleine Gebetsschule, die es zu Beginn der Corona-Krise im Internet gab, kommt übrigens im Februar 2022 als Buch heraus: „Auf du und du. Wie Beten geht“ (Patmos-Verlag).

Woraus schöpfen Sie die Kraft, die Sie für Ihre vielen Projekte und die Seelsorge, die ja auch nicht zu kurz kommen darf, aufbringen müssen?

Pfarrer Stefan Jürgens: Aus meinem Glauben, aus der Musik und aus Begegnungen mit Menschen, mit denen ich freundschaftlich verbunden bin.

Wir können unsere Gottesbeziehung nur dann glaubwürdig und nachhaltig leben, wenn wir mit ihm im Gespräch sind.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Pfarrer Stefan Jürgens: Gebet ist für mich Beziehungspflege. Ich will mit meinem Beten weder Gott verändern noch etwas bei ihm erreichen oder gar von ihm haben, sondern ich möchte einfach bei ihm sein und seine Gegenwart spüren. Das Gebet verändert weder Gott noch die Welt, aber Gott verändert mich, wenn ich bete, und ich gestalte dann gemeinsam mit anderen Betenden mein und unser Leben, die Kirche und die Welt.

Ich danke für das Gespräch.

(Hinweis zum oben verwendeten Foto von Herrn Pfarrer Stefan Jürgens: Die Bildrechte liegen bei dem Fotografen Christof Haverkamp.)

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