Die Sexualmoral hat viel Unheil angerichtet

Klaus Pfeffer

Herr Klaus Pfeffer ist Generalvikar im Bistum Essen. In dieser Funktion ist er Stellvertreter des Diözesanbischofs Dr. Franz-Josef Overbeck und leitet das Bischöfliche Generalvikariat. Ich freue mich, dass Herr Pfeffer sich die Zeit für dieses Interview genommen hat.

Herr Pfeffer, die Folgen der Corona-Pandemie spürt auch die katholische Kirche. Gottesdienste wurden zeitweise abgesagt und finden jetzt nur unter teilweise strengen Auflagen statt; auch weite Teile des übrigen kirchliche Lebens waren oder sind nur eingeschränkt möglich. Viele ehemals treue Kirchgängerinnen und Kirchgänger machen die Erfahrung, dass sie den Kirchenbesuch eigentlich nicht vermissen. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen?

Herr Klaus Pfeffer: In der ersten Phase der Pandemie war es tatsächlich ein schwerer Einschnitt, als das kirchliche Leben in unseren Gemeinden vielfach komplett zum Erliegen kam. Zwar gab es viele digitale Bemühungen, die teilweise auch ganz beachtlich waren, aber ich habe doch auch viel Hilflosigkeit wahrgenommen: Wie leben wir unseren Glauben, wenn die äußerlichen, gewohnten Rahmenbedingungen wegfallen?

Die Folgen der Pandemie bieten auch eine große Chance, dass wir ehrlich und schonungslos über die Qualität und Strahlkraft unserer Gottesdienste reden.

Allerdings haben unsere sozialen und caritativen Einrichtungen in der Pandemie Großartiges geleistet – viele Mitarbeitende gehen dort seit zwei Jahren oft an die Grenze ihrer Belastbarkeit, weil sie sich unermüdlich einsetzen. Deshalb war die vielfach geäußerte Kritik, die Kirche sei während der Pandemie zu wenig präsent gewesen, etwas einseitig.

Trotzdem hat mich die Kritik nachdenklich gemacht: Offensichtlich gab es ja konkrete Enttäuschungen vor Ort. Was ich bestätigen kann: Auch mir sind Gläubige begegnet, die in der Pandemie festgestellt haben, dass sie den Sonntagsgottesdienst gar nicht so sehr vermisst haben. Das ist bemerkenswert – aber auch eine große Chance, dass wir ehrlich und schonungslos über die Qualität und Strahlkraft unserer Gottesdienste reden.

Macht bald die letzte Kirchgängerin bzw. der letzte Kirchgänger die Tür hinter sich zu?
Foto: Achim Beiermann

Wenn man bedenkt, dass schon vor Corona nur noch wenige Katholiken regelmäßig Gottesdienste besuchten (im Jahr 2019 waren es im Erzbistum Köln 7,9%, im Jahr 2020 4,8%; Quelle), dann kann man – überspitzt formuliert – fast schon absehen, dass in wenigen Jahren der letzte bzw. die letzte Katholikin die Kirchentür hinter sich schließen wird. Sehen Sie überhaupt noch Möglichkeiten, wie die katholische Kirche diesem Trend entgegensteuern kann und wenn ja, wie könnten diese aussehen?

Herr Klaus Pfeffer: Ich bin davon überzeugt, dass es auch in Zukunft Menschen geben wird, die eine spirituelle Sehnsucht in sich tragen und nach Orten suchen, an denen sie Gottes Nähe erahnen können und mit anderen Menschen gemeinsam nach Glaubenserfahrungen suchen. Deshalb erlebe ich durchaus noch gut besuchte Gottesdienste – vor allem dort, wo sie von vielen Menschen mitgetragen und mitgestaltet werden; und wo sich die Verantwortlichen um eine zeitgemäße und menschenfreundliche Qualität bemühen.

Dazu gehört, dass Gottesdienste die Anliegen und Themen der Menschen aufgreifen, dass sie mit guter Musik, verständlicher und zeitgemäßer Sprache gestaltet sind – und dass sie Zeit und Raum für Stille und Innerlichkeit bieten. Ich selbst finde nach wie vor die Liturgie der Gemeinschaft von Taizé sehr beeindruckend und vorbildlich.

Mit dem Synodalen Weg hat die Kirche in Deutschland begonnen, Reformen hinsichtlich einer gleichberechtigten und demokratischen Gemeinschaft einzuläuten. Wie sehen Sie diesen Prozess?

Herr Klaus Pfeffer: Der Synodale Weg ist an erster Stelle der Versuch, auf die erschütternden Einsichten aus dem Missbrauchsskandal zu reagieren. Es ist deutlich geworden, dass die Verbrechen, die geschehen sind, sehr viel mit grundsätzlichen „systemischen“ Ursachen zu tun haben, die in Lehren, Traditionen und Strukturen der katholischen Kirche wurzeln.

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Menschen suchen nach Orten, an denen sie Gottes Nähe erahnen können.
Foto: Achim Beiermann

Hinzu kommt eine seit Jahrzehnten wachsende Unzufriedenheit unter vielen Gläubigen, die nicht mehr akzeptieren, dass es in der katholischen Kirche viele Themen gibt, über die lange Zeit nicht frei gesprochen werden durfte. Denn neben dem Missbrauchsskandal gibt es noch viele andere dunkle Kapitel in der jüngsten Kirchengeschichte: Gerade die rigide Sexual- und Beziehungsmoral hat unzählige Menschen verletzt und viel Unheil angerichtet. Der Synodale Weg ist die große Chance, über all die damit verbundenen Fragen offen zu reden – und dann hoffentlich auch Reformen auf den Weg zu bringen.

Ich halte den Synodalen Weg als Reformweg für dringend geboten, um mehr Menschen den Zugang zu der Faszination des christlichen Glaubens zu ermöglichen.

Unabhängig davon drängt sich der riesige Reformbedarf aber auch allein deshalb auf, weil das überkommene kirchliche „System“ längst an Grenzen stößt. Die Gläubigen laufen uns in Scharen davon, die nachwachsenden Generationen finden kaum noch Anknüpfungspunkte für das kirchlich geprägte Christentum und immer weniger Menschen sind bereit, einen kirchlichen Beruf zu ergreifen. Die Priesterzahlen gehen derart in den Keller, dass die sakramentale Struktur der Kirche gar nicht mehr aufrecht zu erhalten sein wird.

Der Synodale Weg ist nun die große Chance, über all die damit verbundenen Fragen offen zu reden – und dann hoffentlich auch Reformen auf den Weg zu bringen. Ich halte den Reformweg für dringend geboten, weil wir sonst nicht mehr in der Lage sein werden, einer größeren Zahl von Menschen den Zugang zu der Faszination des christlichen Glaubens zu ermöglichen.

Welche Rolle spielt das “Gebet” in Ihrem privaten Leben?

Herr Klaus Pfeffer: Das Gebet in einem sehr weiten und vielfältigen Sinn spielt eine sehr zentrale Rolle in meinem Leben. Ich bin froh und dankbar, dass ich in meiner Studienzeit den Jesuitenorden kennenlernen durfte, dessen Spiritualität mir sehr geholfen hat, Gebetsweisen zu finden, die mir dabei helfen, „Gott in allen Dingen zu finden“, wie Ignatius von Loyola formuliert hat.

Klostergang
Jährliche Exerzitien und Tage der Stille in einem Kloster geben Halt.
Foto: Achim Beiermann

Es geht dabei um die Überzeugung und das innere Gespür, mich jederzeit von Gott getragen und umgeben zu wissen – und mit ihm in Verbindung zu sein. Jährliche Exerzitien und regelmäßige Tage der Stille in einem Kloster geben mir Halt, damit ich in meinem oft sehr gefüllten beruflichen Alltag den Kontakt zu Gott nicht verliere. Besonders dankbar bin ich meinen Geistlichen Begleitungen, die mir dabei persönlich zur Seite stehen.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Herr Klaus Pfeffer: Gebet ist für mich – in Gott geborgen zu sein und aus einem tiefen inneren Vertrauen heraus zu leben. Gebet ist für mich vielseitig, es ist vor allem ein inneres Bewusstsein, dass Gott da ist und dass ich in IHM bin. Gebet ist Stille, ist Nachdenken, ist Da-Sein, ist Wach-Sein, ist In-mich-Gehen, ist Gott erspüren, wo ich gerade bin.

Ich danke für das Gespräch.

(Hinweis zum oben verwendeten Foto von Herrn Generalvikar Klaus Pfeffer: Die Bildrechte liegen bei dem Fotografen Oliver Müller, Bistum Essen.)


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