Zum Heilsdienst sind Frauen und Männer berufen

Schwester Scholastika Jurt

Schwester Scholastika Jurt ist Generalpriorin der Arenberger Dominikanerinnen in Koblenz, einer Ordensgemeinschaft, die 1868 von Mutter M. Cherubine Willimann gegründet wurde. Im Jahre 1877 schloss sich die Gemeinschaft dem Dominikanerorden an. Ich freue mich, dass Schwester Scholastika Jurt sich die Zeit genommen hat, auf meine Fragen zu antworten.

Schwester Scholastika, Sie waren als junge Frau zunächst vier Jahre als Lehrerin tätig, bevor Sie in die Gemeinschaft der Arenberger Dominikanerinnen eintraten. Was hat Sie damals zu diesem doch recht ungewöhnlichen Schritt bewogen? 

Schwester Scholastika Jurt: Es gab diesen einen Augenblick, ich war 15, vielleicht 16 Jahre alt, der mir wohl „ewig“ nahe bleibt, einen Augenblick, der meinem Leben eine völlig andere Richtung gab als ausgedacht, geplant, ersehnt… Es war ein Moment großer Einfachheit, in Licht getaucht, in einem schlichten Zimmer aus Holz, das unser Zuhause war.

Da gab es diese eine Liebe, die nicht mehr zur Wahl stand!

Madeleine Delbrêl

Da war urplötzlich die Erfahrung eines Du: GOTT wurde in diesem Moment ein liebendes Gegenüber. Bis dahin gab es ihn, ohne große Relevanz für mein junges Leben. Es gab ihn. Punkt. Ich kannte das alltägliche Gebet, den sonntäglichen Gottesdienst, aber GOTT war zu selbstverständlich da, auch fremd, weit weg von meinem Leben. Aber dann… Madeleine Delbrêl bringt es treffend ins Wort: “Da gab es diese eine Liebe, die nicht mehr zur Wahl stand!”

Es war die überwältigende Erkenntnis:

GOTT meint mich, meint mich mit seiner Liebe, seiner Nähe, seinem Leben.

St. Margareta, Düsseldorf
Die Tür zu Gott ist immer offen
Foto: Achim Beiermann

Die wahre Liebe hat mich getroffen, angetroffen. Endlich. So tief, so umfassend, dass GOTT mir, menschlich gesprochen, Freund wurde, Geliebter. So sehr, dass ein Leben im Kloster für mich die logische Konsequenz als Antwort auf diese Liebe wurde.

Wie sieht ein normaler “Arbeitstag” in Ihrer Ordensgemeinschaft aus und welche Bedeutung besitzt dabei das Gebet?

Schwester Scholastika Jurt: Da unsere Gemeinschaft durch unsere Gründerin Mutter M. Cherubine Willimann, eine Schweizerin, kontemplative Wurzeln hat, wird unser Alltag stark rhythmisiert durch das Gebet. Dreh- und Angelpunkt sind die Laudes, das Morgengebet der Kirche und die Vesper, das Abendgebet, das später fortgesetzt wird durch die Komplet, in der wir unseren Tag, die Welt mit ihren Sorgen und Nöten in die Hände GOTTES legen.

Mittags gibt es eine Unterbrechung durch das Innehalten während der Sext. Aber das gemeinsame Gebet verhungert, wenn es nicht genährt wird durch die persönliche Zeit mit Gott im Schweigen der Meditation, im Hören auf sein Wort in der Schriftlesung und nicht zuletzt auch durch die Feier der Eucharistie, in der wir in verdichteter Weise die Liebe GOTTES feiern, die durch alle menschlichen Abgründe hindurchgegangen ist und uns so befreit und erlöst hat in ein Leben, das er uns bereithält. Tag für Tag neu.

Dazwischen arbeiten wir auch… mit dem Grundauftrag der heilenden Liebe.

Ihre Ordensgemeinschaft bietet im Kloster Arenberg auch eine Unterkunft an, in der Gäste – wie Sie auf der Website anführen – einen Ort der Ruhe finden, an dem “Leib und Seele neue Kraft schöpfen dürfen”. Welche spirituellen Angebote machen Sie den Besucherinnen und Besuchern Ihres Gästehauses, um dieses Ziel zu erreichen?

Schwester Scholastika Jurt: Es ist uns ein Anliegen, die Gäste an dem teilhaben zu lassen, was wir selbst leben, daher sind sie eingeladen, mit uns zu beten. Nicht Wenige suchen jedoch heute andere Formen des Gebetes, des Innehaltens. Täglich kann die christliche Meditation geübt werden. Jeden Morgen ist die Möglichkeit gegeben, an einem Morgenimpuls teilzunehmen, und es gibt die Nachtimpulse, die sehr gerne besucht werden. Dann bieten wir auch die Auseinandersetzung mit dem Wort GOTTES an und laden ein zum Bibelgespräch. Darüber hinaus werden auch die Gesprächskreise gerne besucht, in denen die Gäste selber das Thema wählen können. Oder ein Film bringt das Herz in Bewegung, und auch dafür gibt es anschließend einen Raum des Austausches.

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Foto: Achim Beiermann

Letztlich jedoch ist es unser Wunsch, dass GOTTES Gegenwart überall spürbar wird: in jeder Begegnung im Haus und draußen, in der Sorge um den eigenen Leib, in der Pflege der Räume. Beim Essen, das auch in der Stille eingenommen werden kann. Es wäre ein Geschenk, wenn GOTTES Spuren überall entdeckt werden können. Thomas Merton beschreibt es so: “Jeder Augenblick und jedes Ereignis im Leben eines Menschen auf Erden sät etwas in seiner Seele. Denn so wie der Wind Tausende von geflügelten Samen trägt, so bringt jeder Augenblick Samen geistiger Vitalität mit sich, die sich unmerklich in seinen Geist und Willen niederlassen.” Das ist es, meine ich.

Sie sind im Rahmen des “Synodalen Weges” auch Teilnehmerin des Forums “Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche”. Ziel des synodalen Wegs ist es, nach dem Missbrauchsskandal verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben. Wie kamen Sie in diese Funktion und was möchten Sie durch Ihren Einsatz erreichen?

Schwester Scholastika Jurt: Vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken wurde ich angefragt, schon in der Vorbereitung auf den Synodalen Weg zu mitzudenken. Ich bin keine Synodale, darf aber als Beraterin in diesem Forum “Frauen und Diensten und Ämtern der Kirche” mitarbeiten, um u.a. auch meine persönliche Erfahrung als Leiterin einer Ordensgemeinschaft hineinzugeben. Längst schon verwirklichen die Orden, worum wir in diesem Gremium ringen: Frauen in der Verantwortung, in der Leitung, im Dialog mit der Basis. Keine Entscheidungen von oben trotz hierarchischer Strukturen, sondern aus dem Dialog, aus der gemeinsamen Suche, aus einem demokratischen Denken. Ein Generalkapitel hat die höchste Autorität im Orden, nicht eine einzelne Person.

Die Wahrheit kann nur von Gott offenbart werden.

Mir ist es wichtig, dass wir tiefer lernen, auf GOTT zu hören. Dass wir uns nicht versteifen in der Tradition, sondern dass wir vertrauen, dass ER sich immer neu offenbaren will für das Heil des Menschen. Dieser Zielpunkt dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Frauen und Männer sind berufen in diesem Heilsdienst. Es geht auch um die Suche nach der Wahrheit, die wir nie haben, die niemals Besitz sein darf, sondern die uns nur von GOTT offenbart werden kann.

Ich hoffe nicht, dass uns Verlustängste leiten, sondern wir Hörende bleiben, wirklich Hörende: Jesus hat uns einen Weg gezeigt, der immer ins Leben führt, nie in ein Gesetz. Das Gesetz hat sich erfüllt in der Liebe. In IHM ist uns neue Schöpfung verheißen. Möge wir sie sein dürfen: neue Schöpfung und von GOTT buchstäblich Begeisterte. Noch einmal Madeleine Delbrêl: “Säen wir GOTT aus, er wird keimen …”

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Schwester Scholastika Jurt: Gebet ist für mich der ständige Dialog mit GOTT, auch im Schweigen, in der Stille.
Gebet ist zuerst ein Hören, auf GOTT, auf mein Herz und auf die Stimmen in der Welt.

(Hinweis zum oben verwendeten Foto von Schwester Scholastika Jurt: Die Bildrechte liegen bei der Fotografin Conny Kurz.)

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