Der Theologe und Pfarrer Markus Schaefer ist Leiter des Dezernats „Ökumene“ im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ich freue mich, dass Herr Schaefer sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.
Herr Schaefer, warum ist Ökumene wichtig und sinnvoll?
Markus Schaefer: Das Wort “Ökumene“ kann man doppelt verstehen: als weltweite Gemeinschaft aller Christ*innen oder – im engeren Sinne – als Miteinander von Katholiken und Evangelischen. In beiden Fällen ist Ökumene heute wichtiger denn je: Die Kirche in Deutschland und in vielen anderen Ländern steht in der Kritik. Immer mehr Menschen kehren ihr den Rücken. Finanzielle und personelle Ressourcen schwinden.
Den Unterschied zwischen evangelisch und katholisch verstehen außerhalb der Kirche immer weniger Menschen.
Da tut es gut, sich klar zu machen: Kirche gibt es weltweit, nicht nur vor Ort. Jede Gemeinde gehört zu einem 2000 Jahre alten Global Player, ist Teil der einen, weltumspannenden Kirche. Diese bietet eine Vielfalt kultureller und gottesdienstlicher Schätze und eine beeindruckende Solidarität.
Den Unterschied zwischen evangelisch und katholisch verstehen außerhalb der Kirche immer weniger Menschen. Und es gibt auch Unterschiede, die aber als Teil einer Vielfalt verstanden werden können. Und im Grunde haben diese Menschen ja recht: Wir bekennen die eine Kirche Jesu Christi und in der sollten wir so eng wie möglich zusammenarbeiten und Gemeinschaft haben.
Welche Fortschritte wurden in den letzten Jahren im Hinblick auf die Einheit der christlichen Kirchen erzielt?
Markus Schaefer: 2023 haben wir das 50-jährige Jubiläum der Leuenberger Konkordie gefeiert, mit der die Kirchen der Reformation in Europa 1973 endlich ihre Streitigkeiten um das Abendmahl beigelegt haben. „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ ist seither das Motto und es könnte auch für die Ökumene mit der römisch-katholischen Kirche gelten.
Dabei hat es in den vergangenen Jahren bei allem Streit fast unbemerkt eine Annäherung an der Basis gegeben: Evangelische und katholische Gemeinden teilen sich Gebäude, Kirchen, Arbeitsgebiete; feiern zusammen Gemeindefeste und Gottesdienste – und wollen noch viel mehr Ökumene tatsächlich leben. Die Wirkung der – auch erreichten – Kompromisse in der Lehre, etwa in der Frage der Rechtfertigung der letzten 50 Jahren halte ich dagegen für begrenzt.
Welche Hindernisse stehen einer weiteren Annäherung im Weg?
Markus Schaefer: Zwischen der evangelischen und römisch-katholischen Kirche (und anderen) besteht keine Einigkeit darüber, was genau Kirche ist. Zugespitzt formuliert: Ist sie eine Folge davon, dass Menschen glauben – und diesen Glauben dann gemeinsam leben? Oder ist Kirche die Voraussetzung dafür, dass Menschen glauben?
Das mag haarspalterisch klingen, hat aber Auswirkungen auf die Praxis und Organisation der Kirchen. Braucht es ein besonderes Bodenpersonal Gottes, also Geistliche, die den anderen den Glauben vermitteln? Wird Kirche gemeinschaftlich von allen gestaltet und geleitet oder braucht es dafür eine besondere, geistliche Qualifikation? Haben Frauen und Männer den gleichen Rang in der Leitung der Kirche?
Themen wie Zölibat, Frauenordination oder auch die Stellung des Bischofs von Roms (des Papstes) erscheinen Vielen als theologische Fachfragen. Es sind aber sehr praktische Fragen, die letztlich daran hängen, wie wir Kirche verstehen. In dieser Frage besteht noch viel Klärungsbedarf, aber auch viel Spielraum zur Verständigung.
Gibt es auch Möglichkeiten für Laien und einzelne Gemeindemitglieder, aktiv zur Förderung der Ökumene beizutragen?
Markus Schaefer: Auf jeden Fall. Vielleicht entscheidet sich sogar die ökumenische Zukunft der Kirche nicht an den Fachtheologinnen und Amtsträgern, sondern an den so genannten Laien und Gemeindegliedern.
Vielerorts leben sie bereits eine neue Form von Kirche vor: gemeinsam, von unten, praktisch, einladend und ohne fromme Abgrenzung zur angeblich gottlosen Welt. Ich hoffe, dass sie mutig neue Schritte in der gelebten Ortsökumene gehen und die zaudernden Amtsträger damit vor gelebte Tatsachen stellen.
In der Kirchengeschichte sind die wichtigsten Veränderungen vom Alltag mutiger Menschen ausgegangen.
In der Kirchengeschichte sind die wichtigsten Veränderungen vom Alltag mutiger Menschen ausgegangen und nicht von den Schreibtischen der Gelehrten und Geweihten. Daher meine Bitte und mein Rat: Besuchen Sie einander und erzählen sich von Ihrem Glauben. Tun Sie sich in ökumenischen Gruppen zusammen, beten, feiern und arbeiten sie zusammen und fragen Sie dazu nicht vorher um Erlaubnis. Teilen Sie Gebäude, Kräfte und Geld. Machen Sie sich klar: Wir sind zusammen Christinnen und Christen und erst in zweiter Linie evangelisch oder katholisch oder sonst etwas.
Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich …”
Markus Schaefer: Gebet ist für mich Gespräch mit Gott. Ich kann ihm alles sagen, egal ob leise oder laut, mit ausgesuchten Worten oder ganz spontan, wo immer ich bin, allein oder mit anderen. „Gespräch“ bedeutet aber immer auch: Ich muss hinhören auf Gott – in der Stille, zwischen den Worten anderer Menschen, in den Texten der Bibel. Gott spricht nicht mit donnernder Stimme von Himmel, sondern lässt sich leise vernehmen und erwartet meine Antwort in Klage, Dank, Lobpreis und Fürbitte.
Ich danke für das Gespräch.
(Hinweis zu dem verwendeten Foto von Pfarrer Markus Schaefer: Die Bildrechte liegen bei ekir.de/ör-nd.)