Nicht abwarten, bis die da oben sich ändern!

Rainer Maria Schießler

Herr Rainer Maria Schießler arbeitet als Stadtpfarrer in der katholischen Kirchengemeinde St. Maximilian in München. Außerdem hat er als Buchautor unter anderem den Spiegel-Bestseller “Himmel, Herrgott, Sakrament” geschrieben. Ich freue mich, dass Herr Schießler sich zur Beantwortung der folgenden Fragen bereit gefunden hat.

Herr Pfarrer Schießler, in einem Ihrer Bücher („Seid ihr noch zu retten?“) schreiben Sie „Wir sehnen uns nach einem wirklichen Neuanfang, der die Kirche wieder zu einem Ort macht, an dem sich alle, die möchten, willkommen und zu Hause fühlen können. Wir warten nicht ab, bis ›die da oben‹ sich ändern. Unsere Zeit ist hier und jetzt.“ 

Welche fundamentalen Dinge müssten sich Ihrer Meinung nach in der Katholischen Kirche ändern, um sie den Menschen wieder ein Stück weit näher zu bringen? Ist der Zug nicht längst abgefahren, wenn man bedenkt, dass immer weniger Menschen in Deutschland die Kirche überhaupt vermissen?

Rainer Maria Schießler: Wir sind gerade mitten drin, diese fundamentalen Dinge zu ändern. In erster Linie geht es um die Begegnung auf Augenhöhe. Dass sich beim Synodalen Weg alle Stände der Kirche gleichberechtigt gegenübersitzen und sprechen bzw. abstimmen können, ist eine konkrete Umsetzung dieser Reform. Es muss jedem klar werden, dass ein Volk Gottes nicht aus verschiedenen Gewichtungen bestehen kann!

Ein völlig überhöhter Klerikalismus lässt Menschen Kirche nicht mehr vermissen, wenn sie ihnen abhanden gekommen ist.

Ein völlig überhöhter Klerikalismus, der den geweihten Priester in Werthaftigkeit und grundsätzlicher Glaubensfähigkeit weit überhöht, wird in unserer Zeit gerade zum entscheidenden Faktor, dass Menschen Kirche nicht mehr vermissen, wenn sie ihnen abhanden gekommen ist. Wenn diese Begegnung auf Augenhöhe – ich gehe sogar einen Schritt weiter: wenn möglich auf „Hühnernaugenhöhe“ – gelingt, dann stellt sich Bereitschaft und die Energie zu weiteren strukturellen Reformen (Pflichtzölibatsforderung, Stellung der Frau, Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen und Menschen anderer sexueller Orientierung) in unserer Kirche sehr rasch ein.

Maria 2.0 Demo Köln
Forderungen der Reformbewegung Maria 2.0 auf einer Demo in Köln
Foto: Imma Beiermann

Wie reagieren „die da oben“ auf Ihre in der Öffentlichkeit oft geäußerte Kritik? Schützt Sie Ihre Bekanntheit vor eventuellen „Repressalien“?

Rainer Maria Schießler: Ich weiß nicht, ob und was mich schützen muss. Wenn ich mich nicht mehr auf dem Boden des Evangeliums bewegen sollte, hoffe ich, dass man mich darauf hinweist. Wenn mein Reden und Tun getragen ist von der Freiheits- und Reich-Gottes-Botschaft eines Jesus von Nazareth, warum sollte ich kritische Konsequenzen erwarten müssen?

Es ist doch unser aller Auftrag, diese Botschaft in die Welt hinauszutragen. Für mich zählen allein die Fakten und das Feedback unserer Gläubigen. Wenn uns die Menschen hier als einen Ort und Raum wahrnehmen, in dem sie die Freiheit des Glaubens spüren können, machen wir zumindest wenig falsch. Den Gegenbeweis müssen dann andere antreten.

Angst oder Furcht jedenfalls werden meine Verkündigung in keiner Weise bestimmen können. Auch kann ich mir keine „Repressalien“ vorstellen, mit der mir meine Kirche drohen könnte. Ich bin ein freier Mensch, so wie es Jesus gewollt hat.

Der Laie ist die Kirche, weil er das Volk Gottes bildet, zusammen mit den geweihten Amtsträgern.

„Glauben und Leben gehören zusammen.“ –  Wie das geht, zeigen Sie in Ihrem neuesten Buch „Seid ihr noch zu retten?“. Konkret nachgefragt: Welche Bedeutung spielen Ihrer Ansicht nach die so genannten „Laien“ in der Kirche bei dieser Rettungsaktion?

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Rainer Maria Schießler: Der Begriff Laie kommt von griech.: laos, das Volk, und bedeutet alles andere als das Gegenteil von einem Profi. Der Laie ist die Kirche, weil er das Volk Gottes bildet, zusammen mit den geweihten Amtsträgern. Bei ihnen geht es um die geistliche Dimension, die verdeutlichen möchte, dass wir in allem, was Kirche tut, Christus gegenüber verantwortlich sind.

Die Unterscheidung zwischen einem Laien und einem Kleriker ist also rein funktional und niemals existentiell. Dass bei der gegenwärtigen Entwicklung und dem eklatanten Nachwuchsmangel bei uns Priestern zukünftig die Laien immer mehr Aufgaben der Priester in Verwaltung und Seelsorge übernehmen werden, ist mittlerweile jedem vernünftig aufgestellten Katholiken verständlich.

Wohin geht die Katholische Kirche?
Foto: Achim Beiermann

Ich sehe das aber nicht als eine notwendende Rettungsaktion, sondern vielmehr als den einzigen Weg der Kirche in eine lebendige Zukunft!

Wenn ich mir bei Wikipedia Ihren Eintrag anschaue, lese ich unter „Leben“, dass Sie nicht nur als Priester tätig sind, sondern dass Sie auch eine eigene Talkshow beim Bayrischen Rundfunk hatten, beim Münchner Kirchenradio den regelmäßigen Podcast „Schießlers Woche“ verantworten und nicht zuletzt ein erfolgreicher Buchautor sind, der der Katholischen Kirche als Institution durchaus kritisch gegenüber steht. Woher nehmen Sie die Kraft, die Sie für ein so umfangreiches Engagement brauchen, denn wenn mich meine Recherchen nicht täuschen, dann machen Sie nichts mit halbem Herzen?

Rainer Maria Schießler: Man hat immer so viel Zeit und Kraft, wie man sich nimmt. Es ist alles eine Frage der Organisation und der Leidenschaft. Mir ist wichtig, dass ich all diese Dinge gerne tue, dass sie alle zu meinem Dienst in der Verkündigung gehören und dass nichts von dem irgendwie etwas mit Selbstdarstellung zu tun hat. Im Gegenteil: Es waren immer andere, die von außen auf mich zugekommen sind und mich eingeladen haben, das oder jenes mit ihnen zu machen.

Ich selbst habe mich nie aufgedrängt, aber ich habe auch nur selten wirklich ´Nein´ gesagt! Mir war und ist immer wichtig, dass in allem, was ich machen darf, der Priester erkennbar und erfahrbar bleibt.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Rainer Maria Schießler: Gebet ist für mich die bewusste Wahrnehmung der Gegenwart Gottes. Gerade die Vielfältigkeit dieser Wahrnehmung, vom Gemeinschaftserlebnis im Gottesdienst bis zum berühmten einsamen Gebet auf einem Berggipfel macht das Gebet so ungeheuer spannend und einladend!

Ich danke für das Gespräch.

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