Als ich ein Kind war

Martin Fricke

Martin Fricke ist evangelischer Pfarrer am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium und Synodalassessor im Evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf.
Ich freue mich, dass sich Herr Fricke bereit erklärt hat, den aktuellen Beitrag für die Rubrik “An(ge)dacht” zu schreiben. 

Als ich ein Kind war

Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. (1. Korinther 13,11) 

Urlaubsfahrt auf der Autobahn. Auf der Brücke vor mir sehe ich einen kleinen Jungen stehen; halb hinter ihm sein Vater, schützend über ihn gebeugt, die Hände auf seinen Schultern. Hingebungsvoll winkt der Junge den heranrauschenden Autos zu. 

Ich erinnere mich an eine Zeit vor vielen Jahren: Damals stand ich mit meinem Papa dort, winkend. Und jedes Mal, wenn jemand, den ich hinter spiegelnden Scheiben kaum erkennen konnte, zurückwinkte (oder gar die Lichthupe betätigte), durchfuhr mich ein wohliger Schauer. Resonanz, das vage Gefühl einer Verbundenheit mit einem Fremden – es machte mich groß. Auf kindliche Weise ahnte ich, was es heißen könnte, zu einer Welt zu gehören, die ich noch nicht kannte; dem Kind-Sein erwachsen zu sein… 

Ich winke dem Jungen zu. Nach ein paar Sekunden verschwinden er und sein Vater im Rückspiegel. 

Schon lange stehe ich nicht mehr auf einer Brücke und winke den heranbrausenden Autos zu. Aber manchmal sehne ich mich wie damals nach Resonanz, nach dem Schauer einer Verbundenheit mit dem Unbekannten, der mich groß macht. 

Seien Sie behütet!