Diagnose Krebs – wie geht es weiter?

Heike Schneidereit-Mauth

Frau Heike Schneidereit-Mauth ist unter anderem Gestalttherapeutin, Coach, Psychoonkologin und evangelische Pfarrerin. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählt die Begleitung von Menschen mit der Diagnose Krebs. Ich freue mich, dass Frau Schneidereit-Mauth sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.

Frau Schneidereit-Mauth, was hat Sie veranlasst, Menschen zu begleiten, die an Krebs erkrankt sind?

Heike Schneidereit-Mauth: Die Diagnose Krebs erschüttert jeden Menschen in seinen Grundfesten. Nichts ist so, wie es einmal war. In einer Situation, in der zunächst alles in Frage zu stehen scheint, gilt es zu erkennen und zu erleben, wo die eigenen Ressourcen und Stärken sind.

Die seelsorgliche und auch die psychosoziale Begleitung von Menschen mit der Diagnose Krebs kann ein entscheidender Faktor zu Verbesserung der Lebensqualität der Patient:innen sein.

Sowohl psychoonkologische Behandlungsansätze als auch seelsorgliche Begleitung zielen insbesondere darauf ab, die Selbstkontrolle der Patient:innen zu fördern, vorhandene Ressourcen zu stärken und die Betroffenen in ihrer Krankheitsverarbeitung zu unterstützen.

Mir ist es wichtig, dass Menschen mit einer Tumorerkrankung sich nicht allein gelassen fühlen, sondern professionelle Ansprechpartner:innen in der Seelsorge oder der therapeutischen Begleitung haben, die empathisch mitschwingen, ohne selber betroffen zu sein.

Krankenhaus Düsseldorf-Gerresheim
Sana Krankenhaus Düsseldorf-Gerresheim
Foto: Achim Beiermann

Die Diagnose Krebs löst bei fast allen Menschen erstmal einen Schock aus, auf den sie mit großer Angst und Unsicherheit reagieren. Wie begegnen Sie diesen Menschen, um sie aufzufangen und ihnen trotz dieser Hiobsbotschaft neuen Mut zu geben und Hoffnung zu machen?

Heike Schneidereit-Mauth: In der Tat stehen die meisten Menschen zunächst unter Schock, wenn sie von ihrer Tumorerkrankung erfahren.

Widerstreitende Gefühle von Verzweiflung und Hoffnung, Angst und Zuversicht wechseln sich ab.

Zunächst ist es wichtig, all diesen Gefühlen ausreichend Raum zu geben. 

Angehörige und Freund:innen neigen dazu, die Angst kleinzureden und die Hoffnung groß zu machen. Sie möchten ermutigen und trösten. Dies ist verständlich und sehr nachvollziehbar.

Aber Menschen mit einer schwerwiegenden Diagnose und vielleicht sogar schlechten Prognose schätzen es sehr, wenn jemand mit ihnen die Angst, die Not, die Befürchtungen, die Wut und die Verzweiflung aushält. Wenn dafür genug Raum und Zeit ist, geschieht ganz oft etwas Paradoxes: Menschen finden neuen Mut und beschreiben, was ihnen in ihrer hoffnungslosen Situation Hoffnung gibt.

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Von und mit den mir anvertrauten Menschen habe ich gelernt, dass die Voraussetzung für Zuversicht ist, dass alle widersprüchlichen Gefühle ausgedrückt werden dürfen.

Auf welche Weise integrieren Sie als evangelische Pfarrerin spirituelle oder religiöse Elemente in Ihre Arbeit bei der Begleitung von Menschen mit Krebs?

Heike Schneidereit-Mauth: Eine schwerwiegende Erkrankung ist oft auch eine spirituelle Krise. Und es ist gut und wichtig, dass Menschen einen Ort haben für ihre vielfältigen und spirituellen Fragen.

Die eigene Spiritualität, der eigenen Glauben ist erstaunlicherweise ein großes Tabuthema. Hier geht es darum, behutsam mit meinem Gegenüber darüber zu sprechen, was er oder sie in dieser Situation braucht.

Manche Menschen möchten schlichtweg ein Gespräch, andere wünschen sich einen Segen oder ein gemeinsames Gebet. So individuell wie sich die Lebens-, Krankheits- und Glaubensgeschichten darstellen, so verschieden sind auch die Bedürfnisse in einer Situation, die als Krise erlebt wird.

Angehörige möchten meist alles Menschenmögliche tun, damit es dem bzw. der Erkrankten wieder besser geht. Wie können sie am besten dazu beitragen, die oft stark Leidenden während der Krebsbehandlung zu unterstützen?

Heike Schneidereit-Mauth: Zunächst einmal ist niemand allein krank. Die Patient:in ist getroffen. Aber die Zu- und Angehörigen sind ebenfalls betroffen. Erkrankt in einer Familie z.B. die Mutter, hat dies sofort Auswirkungen auf den Partner und die Kinder, die eignen Eltern, Geschwister und den Freundeskreis. Insofern geht es darum, wie sich alle Beteiligten gegenseitig unterstützen können.

Dies gelingt am Besten, wenn offen darüber geredet wird, wer was wann braucht. 

Hier gibt es keine fertigen Antworten oder gar Rezepte. Wichtig ist nur, dass man darüber im Gespräch bleibt. 

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Heike Schneidereit-Mauth: Gebet ist für mich Reden mit Gott. Es ermöglicht mir jederzeit und an jedem Ort ein Gegenüber zu haben für meine Gedanken und Gefühle.

Ich danke für das Gespräch.


Von Heike Schneidereit-Mauth wurden mehrere Bücher veröffentlicht:

„Ressourcenorientierte Seelsorge: Salutogenese als Modell für seelsorgerliches Handeln“. Erschienen am 26. Januar 2015 im Gütersloher Verlagshaus.

„Burnoutvorsorge ist Chefsache: Gesunde Führung als Leitungsaufgabe in Kirche und Diakonie“. Erschienen am 14. Januar 2019 im Neukirchener Verlag.

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