Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten

Martin Kürble

Martin Kürble ist Pastoralreferent in der Seelsorgeeinheit Düsseldorfer Rheinbogen. Außerdem ist er Autor und Sprecher für Kirche in 1Live (WDR) und Morgenandachten in WDR 3 und WDR 5 sowie Autor des Buches “Ein Tag voller Leben” (Herder-Verlag). Ich freue mich, dass Herr Kürble sich die Zeit für die Beantwortung meiner Fragen genommen hat.

Herr Kürble, viele Menschen sterben heute einsam. Dies hat mehr und mehr zur Folge, dass auch an deren Beerdigung kaum jemand teilnimmt, manchmal ist es nur noch ein Seelsorger der Pfarrgemeinde, der die Verstorbenen auf ihrem letzten Weg begleitet. Dies zu ändern, ist schon seit einigen Jahren eine Ihrer Herzensangelegenheiten. Was hat Sie dazu geführt?

Martin Kürble: Wenn Sie einmal ganz alleine hinter einer Urne gegangen sind und am Grab außer ihnen niemand war, der mitgefühlt hat, dann wissen Sie, dass das so nicht sein darf. Nun muss ich sagen, dass die Mitarbeitenden auf dem Friedhof wirklich alles tun, um den/die Verstorbene still zu ehren. Da wird woanders auch schon mal eine Blume „organisiert“, die dann an der Urne des Menschen ohne Angehörigen liegt und später auch auf dem Grab.

Trotzdem: Es ist eine Schande für unsere Kirchengemeinden und unsere Gesellschaft, dass Menschen im Leben und Sterben einsam sind, da dürfen wir es nicht auch noch auf dem letzten Weg zulassen.

Beisetzung
Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten
Foto: iStock/SeventyFour

Deshalb habe ich das Thema öffentlich gemacht- einmal z.B. mit einem Post über unsere SocialMedia-Kanäle. Einfach als Einladung: „Wer geht mit?“ Tatsächlich hat das einige unserer User berührt und so waren wir eine kleine Gemeinschaft, die die Verstorbene begleitet hat.

Es tat gut zu spüren: Wir “entsorgen” unsere Mitmenschen nicht einfach, sondern wir begleiten sie. Selbst wenn wir sie nicht kannten. Sie sind unsere Mitmenschen. Das reicht vollkommen aus, um an ihrem Tod Anteil zu nehmen und ihnen die Würde im Abschied zu geben, die jeder Mensch verdient hat.

Wenn ich eine solche Beerdigung über unser Büro gemeldet bekomme, recherchiere ich immer auch nochmal nach: Wo hat der-/diejenige gelebt? Gibt es vielleicht doch Nachbarn, Freunde, die etwas wissen könnten? Ein paarmal schon hatte ich Erfolg und Kollegen oder Freunde haben sich gefreut, dass sie auf diese Weise von der Beerdigung erfahren haben und so daran teilnehmen konnten. Das freut mich dann natürlich sehr und dann bekommt die Feier auch nochmal eine andere, persönlichere Note. 

Die Menschen sind mit anvertraut. Ich begleite sie in meinem Herzen und meiner Seele.

Können Sie bitte näher beschreiben, wie man sich so eine letzte Begleitung vorstellen kann? Macht das auch emotional etwas mit Ihnen?

Martin Kürble: Die Trauerfeier ist exakt gleich, wie bei jedem anderen Menschen auch. Egal, ob da ein großer Familien-, Freundes- und Kollegenkreis in der Kapelle und am Grab dabei ist oder nicht. Ich bereite alle Beerdigungen gleich intensiv vor; mit den Gebeten, Psalm, Lesungstext und der dazu gehörenden Auslegung. Die Menschen sind mit anvertraut. Ich begleite sie in meinem Herzen und meiner Seele – vielleicht sogar noch ein Stück intensiver, weil ich mich ja nicht gleichzeitig auch um die Trauernden kümmern muss.

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Da es kein Gespräch mit Familienangehörigen gibt, ich meistens also auch nichts über den Verstorbenen weiß, mache ich mir nochmal mehr Gedanken über dieses spezielle Leben. Warum ist er/sie jetzt hier alleine? Was ist auf dem Lebensweg wohl alles passiert? Worüber hat dieser Menschen gelacht? Was hat ihn bewegt? Jedes Leben hat Höhen und Tiefen – welche waren es wohl bei diesem Menschen? Glauben Sie mir, ich komme da intensiv ins Grübeln …

Ich habe gelesen, dass Sie die Beerdigungsbegleitung auf mehrere Schultern verteilen und dafür ehrenamtliche Kräfte suchen. Welche Voraussetzungen sollten Interessierte Ihren Erfahrungen nach mitbringen?

Martin Kürble: Es ist so schön zu erleben, dass das Thema viele Menschen bewegt. Es war eigentlich nur ein kleiner Artikel in unserem Gemeindemagazin, der am Ende große Wellen geschlagen hat. Rund 40 Frauen und Männer haben sich mittlerweile gemeldet und bereiterklärt, die Beerdigungen von Menschen ohne Angehörige, die in unseren Rheinbogen-Gemeinden stattfinden, zu begleiten.

Natürlich sollen nicht immer alle dabei sein. Meine Idee ist es, dass fünf bis zehn Freiwillige unseres BegleiterInnen-Pools mit auf dem Friedhof sind und wir dann gemeinsam den Menschen verabschieden. Mitbringen müssen die ehrenamtlich Engagierten nichts – nur Zeit und ein weites Herz, in das eine völlig fremde Person mit hineinpasst.

Waldfriedhof in Düsseldorf-Gerresheim
Foto: Achim Beiermann

Und da muss ich sagen, die Erfahrungen, die wir gemeinsam auf dem Friedhof gemacht haben, sind einfach großartig – das gemeinsame Gebet (für den, der mitbeten mag), der gemeinsame Weg von der Friedhofskapelle zum Grab, das gemeinsame Verabschieden. Ja, natürlich würde ich mir wünschen, dass wir das Gute dem Menschen schon zu Lebzeiten getan hätten. Aber da haben wir ihn leider nicht kennengelernt. Und so tun wir es nun an dieser Stelle.  

Eigentlich wäre es doch schön, wenn Ihr Dienst gar nicht benötigt würde. Was müsste geschehen, damit Menschen nicht so häufig einsam sterben?

Martin Kürble: Wenn ich da die Lösung hätte, würde ich sie längst umsetzen und versuchen, die Menschen aus der Isolation und Vereinsamung herauszuholen. Aber das ist leider nicht so einfach. Im Gegenteil – der Trend hin zu immer kleineren Lebenseinheiten, zu Ein-Personen-Haushalten, zu einem „Ich genüge mir selbst“- Lebensstil oder umgekehrt „was geht mich mein Nachbar an“ wird immer größer.

So können wir Einsamkeit zu Lebzeiten verhindern.

Wir können dem nur entgegenwirken, in dem wir auf unseren Nachbarn/ unsere Nachbarin acht geben, unsere Mitmenschen im Auge behalten und den Kontakt  nicht abreißen lassen. So können wir Einsamkeit zu Lebzeiten verhindern. Wenn jeder, der hier mitliest, für sich den Entschluss fasst „in meinem Umfeld soll niemand einsam sein“, dann sind wir doch schon einen Schritt weiter.

Wir dürfen diese Frage nicht auf andere abwälzen, auf Institutionen, Kirche, Gesellschaft. Wir sind immer selbst gefragt, wie diese Welt aussieht. Wir sind die Kirche. Wir sind die Gesellschaft. 

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…” 

Martin Kürble: Gebet ist für mich hören und spüren.

Ich danke für das Gespräch.

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