Kirche braucht „pastorale Schnellboote“

Björn Hirsch

Herr Dr. Björn Hirsch ist Theologe, Buchautor, Gründer zahlreicher Start-Ups, gefragter Speaker und leidenschaftlicher Christ. Ich freue mich, dass Herr Dr. Hirsch sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.

Herr Dr. Hirsch, wenn man Ihre vielfältigen Tätigkeiten sieht, die noch nicht einmal abschließend aufgezählt sind, dann fällt mir eine natürlich sofort ins Auge, denn Sie sagen von sich selbst, dass Sie leidenschaftlicher Christ seien. Was zeichnet diesen leidenschaftlichen Christen aus?

Dr. Björn Hirsch: Tatsächlich hatte ich mit Anfang 20 eine Begegnung mit Gott, die mich nachhaltig und bis auf den heutigen Tag geprägt hat. Damals war ich als noch völlig „Ahnungsloser“ Teil eines Projekts, bei dem sich junge Menschen über ein Jahr hinweg alle zwei Monate zu einem Wochenende in einem Jugendhaus des Erzbistums Paderborn trafen, um Gott näher kennenzulernen.

Ich wusste damals nicht, was mich dorthin gezogen hatte, da eigentlich alles gegen meine Teilnahme sprach: die Teilnahmegebühr, die Entfernung und meine damalige Freundin, die, wie auch ich noch kurz zuvor, sehr wenig von Glaube und Kirche hielt. Irgendwie zog es mich aber doch hin. Ich beschreibe diese Zeit als ein „Home-Coming“, ein Nach-Hause-Kommen nach langer Suche.

In dieser Zeit habe ich eine lebendige Beziehung zu Jesus entwickelt und von ihm die Zusage bekommen, dass er von nun an bei mir ist. Diese Begegnung mit Ihm prägt mich bis heute und treibt mich bei allem, was ich tue, an. Mein tiefer Wunsch ist es, dass auch andere Menschen in eine solche tragende Beziehung zu Gott hineinfinden und dadurch mit mehr Hoffnung, Freude und Liebe durch dieses Leben gehen können, ein Leben in Fülle eben, wie es sich Gott für jedes seiner Kinder wünscht (Joh 10,10).  

Johanneskirche Düsseldorf
Johanneskirche Düsseldorf-Mitte
Foto: Achim Beiermann

Damit Kirche Zukunft hat, braucht sie leidenschaftliche Christen, wie Sie es sind. Außerdem braucht sie funktionierende Organisationen, die in der Lage sind, die Sehnsucht von Menschen zu erkennen, daran anzuknüpfen und sie mit auf dem Weg zu einem sinnerfüllten Leben zu begleiten. Den etablierten Organisationen scheint dies ja nicht gelungen zu sein, wie die rasant steigende Zahl der Kirchenaustritte zeigt. Deshalb konkret die Frage: Was für Organisationen sollen das sein?

Dr. Björn Hirsch: Tatsächlich fällt es mir sehr schwer, eine Art „Rezept“ für eine funktionierende Kirche zu liefern. Dafür ist das Thema einfach zu breit. Es gibt für mich jedoch Kennzeichen, die wichtig für eine handlungsfähige Kirche sind. Zum einen muss die Fehlerfreundlichkeit zunehmen. Es ist keine Schande, Fehler zu machen und Projekte scheitern zu sehen. Im Gegenteil: Nur aus Fehlern können wir lernen, wie es besser geht. „Trial and Error“ ist das Gebot der Stunde. Wir brauchen zudem „kleine pastorale Schnellboote“, mit denen wir losfahren, um neue Wege zu erkunden. Und wir werden überrascht sein, welche neuen Erkenntnisse wir auf dem Weg gewinnen, die wir in Gremiensitzungen oder pastoralen Dienstgemeinschaften niemals bekommen hätten.

Besonders das Verlassen der eigenen vier Kirchenwände und das Hingehen an die Orte, wo Menschen sich heute aufhalten, ist wichtig. 

Zudem ist es wichtig, die Vielfältigkeit unserer heutigen Gesellschaft ernst zu nehmen und sie in Bezug auf unsere Angebote abzubilden. Mithilfe des „Fünf-Stufen-Modells“ versuche ich seit nunmehr zehn Jahren, Angebote für Menschen unterschiedlicher Lebenswelten, Altersstufen, Weltanschauungen und Kulturen zu konzipieren, teilweise, wenn auch nicht immer, mit großem Erfolg. Hierzu gehört auch, „vom hohen Ross“ abzusteigen und den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, ein echtes Interesse an ihnen zu zeigen, sie nicht als Objekte meiner Verkündigung zu betrachten und eine Willkommenskultur zu leben, die es ihnen erleichtert, Anschluss zu finden. Besonders das Verlassen der eigenen vier Kirchenwände und das Hingehen an die Orte, wo Menschen sich heute aufhalten, ist dabei wichtig. 

Schließlich braucht es auch in unseren „eigenen Reihen“ mehr Vielfalt, weniger Voll-Theologen und viel mehr Social-Media-ExpertInnen, OrganisationsentwicklerInnen, ManagerInnen, SoziologInnen und EventmanagerInnen. Alle müssen gemäß ihrer Charismen und nicht auf Grundlage von fest definierten Berufsbildern eingesetzt werden. Dadurch können wir unsere Effektivität enorm steigern. Denn letztlich geht es auch bei Kirche nicht nur, aber auch, um Zahlen.

Es ist falsch, den gesamten kirchlichen Erfolg ausschließlich an Austrittszahlen und Gottesdienstquoten festzumachen. Und gleichzeitig stehen wir heute nicht nur unter einem enormen wirtschaftlichen Druck, sondern haben zudem auch den Auftrag, allen Menschen das Evangelium zu verkünden. Und so können wir einfach nicht zufrieden sein, wenn zu einem aufwendig vorbereiteten Jugendevent am Ende 50 Menschen kommen. Pastorale Erfolge schenken allen Beteiligten Mut und Hoffnung und motivieren sie zu weiteren Schritten.  

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Verschiedene pastorale Start-Ups haben Sie selbst gegründet und dadurch fachliche Expertise erworben, die Sie gerne weitergeben möchten. Welche Angebote machen Sie dazu? 

Dr. Björn Hirsch: In meinen ersten zehn Berufsjahren durfte ich verschiedene christliche Start-Ups gründen, unter anderem das überkonfessionelle Netzwerk ALL FOR ONE oder den Verein zur Förderung christlicher Jugendarbeit auf dem Land POIEMA. Hierbei habe ich viele Erfahrungen sammeln dürfen, die ich nun als Berater und Konferenzsprecher gerne weitergebe. Vor einigen Jahren habe ich gemeinsam mit Dr. Georg Plank die Pastoralinnovation Online Akademie gegründet. Hier haben wir in Abend- und Tagesveranstaltungen verschiedene Themen aufgegriffen und Menschen dazu befähigt, selbst an Ihren Orten innovativ tätig zu werden.

Heute bin ich vor allem mit Seminaren zu kirchlichen Tools unterwegs und arbeite nebenbei am Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) in Bochum. Ich habe immer mehr gespürt, dass es den Menschen, die nach neuen Wegen für Kirche suchen, in erster Linie um praktische Tipps und konkrete Arbeitsmittel geht.

Bei einem Seminar zur Ästhetik in der kirchlichen Verkündigung sagte einmal eine Teilnehmerin: „Ist ja alles schön und gut, aber wie gestalte ich denn nun meinen Schaukasten neu?“ Ob ‚Aerothek‘, ‚Frischzelle‘, ‚Fünf-Stufen-Modell‘ oder Churchbike – Seminare zu diesen konkreten Kirchentools werden aktuell besonders stark nachfragt. Und ich glaube, dass der Wandel in der Kirche letztlich genau dadurch kommen wird, dass immer mehr Menschen mit kreativen Ideen Kirche an der Basis gestalten.

Churchbike
Das Churchbike soll die Kirche in den öffentlichen Raum bringen
Foto: Churchbike

Wenn die Menschen nicht mehr zur Kirche kommen, muss die Kirche zu den Menschen gehen. Um diese Art der Begegnung zu ermöglichen, haben Sie an der Entwicklung des so genannten Churchbikes mitgewirkt, einem Lastenfahrrad, welches in unterschiedlichen Varianten zum Verleih angeboten wird. Ein „Kirchenrad“ – was ist das?

Dr. Björn Hirsch: Tatsächlich bin ich von Beginn an immer viel auf den Straßen und Plätzen unterwegs gewesen, in Cafés und Kneipen, um dort mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ich wollte niemanden da abholen wo er steht, sondern ihm dort begegnen, wo er ist, und wenn nötig, auch genau dort mit ihm bleiben.

Mir war es schon immer zuwider, offene Angebote mit dem Hintergedanken zu machen, die Menschen dann doch irgendwann wieder zu einer vermeintlichen Höchstform des Glaubens hinzuführen. War ich früher noch mit Pavillons unterwegs, habe ich mir in meiner neuen Aufgabe als Leiter der Tourismuspastoral Rhön ziemlich am Anfang schon ein Lastenfahrrad angeschafft, mit dem ich fortan auf Rad- und Wanderwegen, auf Märkten und Volksfesten unterwegs war.

Ich erhoffe mir, dass wir der Vision einer beweglichen und dynamischen Kirche ein Stück weit näher kommen.

Dies war so erfolgreich, dass ich diese Idee mit anderen teilen wollte. So habe ich gemeinsam mit Prof. Sellmann und vielen anderen das CHURCHBIKE entwickelt, ein Lastenfahrrad in sechs verschiedenen Varianten, welches über die Website wwwchurchbike.de bestellt werden kann. Verschiedene Bundles mit Liegestühlen, Broschüren und Giveaways sorgen dafür, dass es direkt losgehen kann. Das begleitende Buch „Kirche auf die Straße bringen“ liefert dazu die nötigen Hintergrundinformationen, stellt weitere Projekte aus dem Bereich mobiler Pastoral vor und weist auf alle Angebote rund um das Churchbike hin.

Ich erhoffe mir, dass wir auf diese Weise der Vision einer beweglichen und dynamischen Kirche ein Stück weit näher kommen können und dass uns Menschen zukünftig verlässlich finden können, wenn sie Redebedarf, eine Frage oder einfach nur Lust auf einen guten Kaffee haben.   

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Dr. Björn Hirsch: Gebet ist für mich das Sprechen mit meinem besten Freund und treuesten Begleiter. Ohne das regelmäßige Gebet wäre ich viel zu schwach, um all das zu tun, was ich eben tue. Durch das Gespräch mit Gott bekomme ich immer wieder Kraft und eine Perspektive, für die es sich lohnt, zu leben und alles zu geben.

Ich danke für das Gespräch.

Von Dr. Björn Hirsch wurden mehrere Bücher veröffentlicht: 
„Pastoral mit Menschen in Urlaub und Freizeit – Ideen für Haupt- und Ehrenamtliche“. Erschienen am 6. März 2023 im Schwabenverlag.
„Der Ort macht die Kirche – Impulse und Ideen für eine kontextbezogene Pastoral“. Erschienen am 14. Februar 2022 im Schwabenverlag.
„Kirche auf die Straße bringen – Möglichkeiten einer mobilen Pastoral am Beispiel des CHURCHBIKES“. Erschienen am 9. Oktober 2023 im Echter Verlag.

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