Msgr. Oliver Boss ist Pfarrer und Leiter des Seelsorgebereichs von St. Margareta in Düsseldorf-Gerresheim, der größten katholischen Pfarrgemeinde in Düsseldorf. Ich freue mich, dass Pfarrer Boss sich den folgenden Fragen stellte.
Wenn ich einen Priester sehe, dann erlebe ich ihn vor allen Dingen im Gottesdienst Gebete sprechend. Dies ist aber nicht der einzige Ort, an dem Sie beten. Daher die Frage: Bei welchen anderen Gelegenheiten vertrauen Sie auf die Kraft des Gebets und welche Bedeutung hat das Gebet für Sie persönlich?
Herr Pfarrer Boss: Ich starte mit dem Gebet in jeden neuen Tag. Es ist tatsächlich meine erste Handlung nach dem Aufstehen. Morgens kann ich am besten beten. Dann lasse ich mich leiten vom sogenannten Stundengebet der Kirche, einem Kompendium an Hymnen, Psalmen, Kurzlesungen, Fürbitten und Gebeten, das auf dem Chorgebet der Mönche und Schwestern basiert und das ich bei meiner Diakonen- und Priesterweihe zu beten versprochen habe.
Das Stundengebet zwingt mich zum Innehalten an einem stressigen Tag und verweist all mein Reden und Tun zurück auf Gott.
Mit dem Stundengebet tauche ich auch ein in den vom liturgischen Kalender geprägten Charakter jedes einzelnen Tages, also etwa einer besonderen Zeit im Kirchenjahr oder eines Heilgenfestes. Das Stundengebet ist zwar nicht an eine feste Uhrzeit gebunden, es richtet sich aber schon nach den Tageszeiten: morgens die Laudes und die Lesehore, abends die Vesper und auf der Bettkante die Komplet. Dadurch erhält jeder Tag schon von sich aus eine Gebetsstruktur. Dafür bin ich dankbar, denn das Stundengebet zwingt mich manchmal im guten Sinn zum Innehalten an einem stressigen Tag und verweist all mein Reden und Tun zurück auf Gott.
Neben dieser festen Struktur ist mir aber auch die persönliche Zwiesprache mit Gott – und hier im Besonderen mit Christus – wichtig. Im Alltag einer großen Pfarrei passiert so vieles, was ich ihm mitteilen möchte. Dabei gehe ich zwar davon aus, dass er eh schon alles weiß, aber ich vertraue ihm vor allem Menschen an, die mich darum baten, weil sie Sorgen haben oder krank sind. Und ich kann manchen Ärger oder Ballast bei ihm abladen.
Ich habe in meiner Wohnung eine Stelle, die ganz für das Gespräch mit Gott reserviert ist.
Bei der Gewissenserforschung vor der Komplet muss ich mich auch selbst nach meinen eigenen Anteilen daran fragen. Hier wird es dann noch intimer, wenn es um den Bereich der eigenen Schuld geht. Ich habe in meiner Wohnung eine Stelle, die ganz für das Gespräch mit Gott reserviert ist.
Neben klassischen Gottesdienstformen bieten Sie in Ihrer Pfarrgemeinde “Pray and Go” als ein offenes spirituelles Angebot an. Was verbirgt sich hinter diesem ungewöhnlichen Format?
Herr Pfarrer Boss: Wir sammeln in der Corona-Pandemie viele neue Erfahrungen. Eine Wahrnehmung ist, dass nicht wenige Gemeindemitglieder, die vorher wie selbstverständlich und ganz regelmäßig sonntags die Eucharistiefeier besucht haben, aus durchaus verschiedenen Gründen den offiziellen Gottesdiensten fernbleiben. Der Ritus der Messfeier ist natürlich auch unter Berücksichtigung aller Corona-Regeln derselbe geblieben, aber die Atmosphäre des Gottesdienstes als gemeinschaftlicher Feier hat gelitten. Für manche ist einfach auch das Ansteckungsrisiko bei der Form eines längeren Beisammenseins in der Kirche zu hoch.
Aus diesem Grund ist aus der Gemeinde selbst heraus die Gottesdienstform „Pray and Go“ entstanden. Jeweils am Sonntagabend findet zwischen 18 Uhr und 19 Uhr in der Basilika St. Margareta ein offenes Angebot statt. Leittext ist das jeweilige Sonntagsevangelium, das man beim Betreten der Kirche auf einem Blatt erhält. Daneben finden sich weiterführende geistliche Impulse und Fragen.
In der Kirche herrscht eine Atmosphäre der Sammlung und des Gebetes, wozu immer andere musikalische Ausdrucksformen und Zeiten der Stille beitragen. Mehrmals in der Stunde wird das Evangelium auch vom Ambo aus vorgetragen wie auch gemeinschaftlich das Vaterunser gebetet. Eigene Fragen und Bemerkungen können auf das Textblatt geschrieben und an einer Leine am Ausgang aufgehängt werden.
„Pray and Go“ hat von Anfang an Zuspruch gefunden, nicht zuletzt auch deshalb, weil es ein Angebot „von unten“ ist und den Bedürfnissen eines Teils der Menschen in Pandemiezeiten entgegenkommt.
Zu Beginn der Corona-Pandemie waren Sie im Morgenmagazin des Ersten zu Gast. Sie erzählten dort unter anderem, dass Sie sich auch telefonisch bemühten, den Kontakt zu älteren Gemeindemitgliedern aufrecht zu halten. Wie stellt sich diese Situation jetzt während des zweiten Lockdowns für Sie dar? Kommt es auch vor, dass Sie am Telefon ein Gebet sprechen?
Herr Pfarrer Boss: Im ersten Lockdown fanden ja keinerlei Präsenzgottesdienste statt, und viele ältere Gemeindemitglieder hatten kaum eine Möglichkeit, gestreamten Messfeiern zu folgen. In dieser Zeit war der Kontakt gerade zu dieser Generation sehr eingeschränkt. Da war das Telefon ein wichtiges Kommunikationsmittel, das zumindest punktuelle Kontakte möglich gemacht hat.
Ich habe mich zum Bespiel auch bemüht, möglichst viele Geburtstagskinder jeden Alters während des Lockdowns zu kontaktieren. Da war die Überraschung oft groß! Der zweite Lockdown hat einen anderen Charakter. Dadurch, dass weiterhin Präsenzgottesdienste stattfinden, kommen die Menschen – auch die älteren – in die Kirche, und der persönliche Kontakt ist gegeben, auch natürlich im Umfeld von Gottesdiensten.
Ein Gebet habe ich im Zusammenhang mit den Telefonaten im Lockdown noch nie gesprochen. Eigentlich eine gute Idee, auf die ich – zugegebenermaßen – nicht selbst gekommen bin.
Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? „Gebet ist für mich…„
Herr Pfarrer Boss: Gebet ist für mich das unmittelbare und spontane Gespräch mit Gott. Ihm kann ich alles sagen, ihm kann ich alles klagen, ihn kann ich alles fragen. Und manchmal spüre ich auch seine Antwort, obwohl ich mir sicher bin, dass er mir immer antwortet. Leider bin ich wohl nicht immer so empfänglich für ihn.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.