Von der Unverschämtheit des Glaubens

Pfarrer Jürgen Hoffmann

Jürgen Hoffmann ist Pfarrer der evangelischen Tersteegen-Kirchengemeinde in Düsseldorf. Ich freue mich, dass ich einen seiner spirituellen Impulse als monatlichen Beitrag für die Rubrik “An(ge)dacht” verwenden darf.

Haben Sie sich schon einmal für etwas geschämt?

Falls ja, dann wissen Sie: Scham ist ein furchtbares Gefühl. Scham gehört zu den wirklich komplizierten Dingen des Lebens. Sie steht jemandem ins Gesicht geschrieben, der sich einer Schuld oder einer Unzulänglichkeit bewusst ist.

Sie kann heilsam sein, wenn sie mit Selbsterkenntnis zu tun hat.
Aber: Wer etwas nicht gut kann, eine Leistung nicht erbringt, sich unfähig fühlt oder vor anderen kritisiert wird, der weiß, wie sich Scham anfühlt. Man möchte im Erdboden versinken, so peinlich ist die Situation gerade. Schamesröte steigt ins Gesicht.

Eine Situation aus Kindertagen, die ich mit dem Gefühl von Scham verbinde:

Ich war als Kind ein langsamer Esser. Die anderen am Tisch im Kindergarten waren immer schon fertig, da kaute ich noch an meinem Butterbrot. Nicht weiter tragisch, bis zu diesem einen Tag, an dem es hohen Besuch gab. 

Der Direktor der Firma, zu der der Kindergarten gehörte, hatte sich angesagt. Alle waren verständlicherweise in Aufregung und Erwartung und längst mit dem Frühstück fertig – nur ich aß noch an meinem Butterbrot. 

Ob es meiner Kindergartenleiterin vor dem Direktor peinlich war, weiß ich nicht, jedenfalls sagte sie (über mich) diesen einen vernichtenden Satz: „Er ist immer der Letzte.“

Wie sich Scham anfühlt …
Foto: Pixabay/Anita S.

Seit diesem Tag weiß ich, wie sich Scham anfühlt: Du wirst sehr klein und sehr still. Die Erde tut sich unter dir auf und du möchtest am liebsten verschwinden, unsichtbar sein – irgendwo sein, aber nicht hier, nicht bei diesen Menschen. Alle Blicke sind (gefühlt) auf dich gerichtet – einschließlich Direktor. Du verlierst gerade „dein Gesicht“. Wie kannst du jemals wieder dazugehören?

Heute sehe ich in dieser Situation eine für mein Leben wichtige Erfahrung (und kann darüber schreiben und lächeln), aber damals fühlte es sich an wie das Ende von allem.

Scham: Uns begegnen Menschen in der gemeindlichen Arbeit, die sich für ihr Dasein schämen und dafür, dass sie es nicht weit gebracht haben im Leben und dass ihnen nichts wirklich gelingen will. Manchen von ihnen wünschte ich etwas von der Unverschämtheit oder Schamlosigkeit anderer, denen Scham völlig fremd zu sein scheint – was mich und Sie ja vielleicht auch manchmal dazu bringt, dass man sich geradezu „fremdschämt“.

Übrigens kann es auch Scham auslösen, über etwas so Persönliches zu sprechen wie über den eigenen Glauben. Einer, der sich weigert, sich dafür zu schämen, ist der Apostel Paulus.

„Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die da glauben.“ (Römerbrief 1,16)

Der Apostel Paulus gibt am Anfang seines Briefes an die Gemeinde in Rom ein Plädoyer für einen „unverschämten Glauben“ ab: 

„Für meinen Glauben schäme ich mich nicht. Das Evangelium, die gute Nachricht von Jesus Christus, ist nichts, was ich verschämt verstecken müsste. Im Gegenteil: Sie muss in die Welt, denn sie hat das Potenzial, Menschen zu retten – selig zu machen.“

Heute kann ich – ohne mich dafür zu schämen – sagen: Ich zähle mich auch dazu. Das war durchaus nicht immer so.

Ich wünsche Ihnen eine unbeschwerte, gesegnete Zeit!