
Geertruida Wijsmuller-Meijer – bei unseren niederländischen Nachbarn bekannt als „Tante Truus“ – war eine bemerkenswerte Persönlichkeit, deren mutiges Eingreifen in den finstersten Zeiten der Menschheit uns bis heute tief berührt. Sie war eine Widerstandskämpferin, die in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg und während des Holocaust das Leben von Tausenden jüdischen Kindern rettete. Ihre Geschichte ist nicht bloß ein historisches Zeugnis, sondern obendrein ein lebendiges Paradebeispiel für praktizierte Nächstenliebe.
Geertruida Wijsmuller-Meijer erblickte 1896 in Alkmaar, Nord-Holland, das Licht der Welt. Schonals junge Frau zeigte sie eine außergewöhnliche Entschlossenheit, sich für ihre Mitmenschen einzusetzen. Doch erst in der Zeit des Nationalsozialismus wurden ihr Mut und ihre Menschlichkeit wirklich sichtbar. Angesichts der immer bedrohlicheren Lage für jüdische Familien in Deutschland fasste sie den Beschluss, zu handeln – mutig, entschlossen und selbstlos.
Tante Truus gehörte zu denjenigen, die die sogenannten „Kindertransporte“ ins Leben riefen. Zwischen 1938 und 1940 ermöglichte sie etwa 10. 000 jüdischen Kindern aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei die Flucht in sichere Länder – meistens nach Großbritannien. Dabei setzte sie sich sogar persönlich mit Adolf Eichmann auseinander, einem der Hauptverantwortlichen für die Organisation des Holocausts. Sie war sich des immensen Risikos ihres Handelns bewusst, zögerte jedoch nicht. Mit gefälschten Dokumenten, diplomatischem Feingefühl und unermüdlichem Engagement organisierte sie Reisen, begleitete Kinder über Grenzen und kämpfte gegen bürokratische Hindernisse.
Was Geertruida Wijsmuller-Meijer antrieb, ging über bloßen politischen Widerstand hinaus. Es war die feste Überzeugung, dass jedes einzelne Menschenleben zählt – ohne Ansehen von Herkunft oder Religion. Sie lebte das christliche Gebot der Nächstenliebe in seiner reinsten Form: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Markus 12,31). Für sie waren diese Kinder keine anonymen Schicksale, sondern Nächste im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Liebe zeigte sich nicht durch Worte, sondern durch Taten. Sie fragte nicht, ob die Hilfe von Erfolg gekrönt sein würde – sie handelte einfach, weil es moralisch geboten war.
Die Geschichte hat sie viel zu lange übersehen. Erst relativ spät wurde ihr Mut wirklich gewürdigt. 1966 verlieh ihr die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem den Titel „Gerechte unter den Völkern“. In Amsterdam, Alkmaar und anderswo erinnern Denkmäler und Straßennamen an sie. Doch mehr als jedes Denkmal spricht das Leben der Menschen, die dank ihr überlebt haben – und deren Nachkommen heute in Freiheit leben können.
Tante Truus war keine Heldin im herkömmlichen Sinne. Sie war eine Frau, die sich weigerte, wegzusehen, die sich nicht von Angst lähmen ließ, sondern inmitten der Verzweiflung Hoffnung säte. Ihr Leben führt uns vor Augen, dass Nächstenliebe dann konkret wird, wenn wir nicht fragen: „Was habe ich davon? “, sondern: „Was braucht der andere? “
In einer Welt, die oft von Egoismus und Teilnahmslosigkeit geprägt ist, bleibt Geertruida Wijsmuller-Meijer ein strahlendes Beispiel. Ihr Mut fordert uns alle auf, hinzusehen, zuzuhören – und aktiv zu werden.