Seelsorge im Kinder- und Jugendhospiz

Rainer Strauß

Pastor Rainer Strauß ist als evangelischer Seelsorger im Kinder- und Jugendhospiz Regenbogenland in Düsseldorf tätig und daneben für die Sterbe- und Trauerbegleitung, die Väterarbeit und für die seelsorgerliche Begleitung der ehren- und hauptamtlichen MitarbeiterInnen zuständig. Das Hospiz kann maximal fünf Kinder und fünf Jugendliche gleichzeitig aufnehmen, zur Not auch eine elfte Person. Die Auslastung des Hospizes betrug in den letzten Jahren gut 85 Prozent.

Ich freue mich, dass sich Pastor Strauß die Zeit genommen hat, auf meine Fragen zu antworten.

Herr Pastor Strauß, was hat Sie bewogen, in einer Einrichtung für Kinder zu arbeiten, die an einer unheilbaren Krankheit leiden und im Hospiz ihre letzte Lebensphase verbringen?

Pastor Rainer Strauß: Es gab in meinem Leben zwei Schlüsselerlebnisse, die zu diesem Entschluss führten. So war ich vor meinem Dienst im Regenbogenland sechs Jahren als Gemeindepastor tätig, merkte aber, dass mir für die eigentliche Seelsorge immer weniger Zeit blieb, während sich meine Haupttätigkeit auf immer mehr Verwaltungsarbeit konzentrierte. Dies war für mich sehr unbefriedigend, gerade, weil ich jemand bin, der gerne für Menschen da ist – besonders in Grenzsituationen.

Kinder- und Jugendhospiz
Kinder- und Jugendhospiz Regenbogenland in Düsseldorf
Foto: Achim Beiermann

Dazu kam, dass wir uns seinerzeit verstärkt einsetzten, kirchenferne Menschen wieder für die Gemeinde zu interessieren – Stichwort: Gemeindeaufbau. Das alles habe ich zwar mit unterstützt, aber ich bin da nicht der Vorreiter. Ich bin der, der Menschen nachgeht, der Menschen zuhört, der für Menschen da ist. Und Letzteres kam immer kürzer. Diese beiden Dinge, also Verwaltungsarbeit und der Gemeindeaufbau, das führte zur Entscheidung, mich für eine Seelsorgestelle zu bewerben.

Das zweite Schlüsselerlebnis hatte ich als Jugendpastor in Köln, als ein Jugendlicher im Rhein ertrank, dessen Familie ich anschließend über eine längere Zeit in der Trauer begleitete.

Ferner überlegte ich damals, wie ich die Gaben, die mir Gott geschenkt hat, für ihn und die Mitmenschen besser einsetzen könnte. Das alles führte dazu, dass ich mich an dem Platz, an dem ich mich damals befand, nicht mehr richtig fühlte und so beschloss ich, mich auf die seinerzeit ausgeschriebene Stelle hier im Kinder- und Jugendhospiz zu bewerben. Neben der allgemeinen Seelsorge war mein Fokus vor allem die Sterbe- und Trauerbegleitung und die Arbeit mit Vätern. Bei uns im Hospiz stehen nicht nur die Erkrankten im Blickfeld, sondern wir arbeiten systemisch, das heißt, dass wir das Gesamtsystem “Familie” im Blick haben, also in gleicher Weise auch die Eltern, Geschwister und Großeltern.

So gibt es beispielsweise regelmäßig spezielle Angebote für die Geschwister, während des Aufenthaltes im Regenbogenland und ambulante Angebote für die, die im Umfeld des Hospizes wohnen oder für die Väter, die sich leichter tun, wenn sie ein männliches Gegenüber als Ansprechpartner haben. Wir treffen uns einige Mal im Jahr zu einem Väter-Wochenende, einen Vätertag und einen Grillabend, um ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, das zu offeneren Gesprächen einlädt, wie sie in ihrem normalen Umfeld kaum geführt werden können.

Transporter
Viele Aktionen finden mit den Familienangehörigen statt
Foto: Achim Beiermann

Dabei unterscheiden wir nicht nach Vätern, deren Kinder noch leben, und Vätern, deren Kinder schon verstorben sind, so dass beide Gruppen von den jeweiligen Erfahrungen der anderen profitieren können. So erzählen beispielsweise Väter, wie sie das Sterben ihrer Kinder erfahren haben, von den Gefühlen, die sie schier zerreißen, und die anderen Väter hören voller Anteilnahme zu, wohl wissend, dass sie einst das gleiche “Schicksal” teilen werden.

Können Sie uns bitte schildern, wie der übliche Arbeitstag für Sie aussieht?

Pastor Rainer Strauß: Also den typischen Arbeitstag gibt es eigentlich nicht. Ich überlege zwar im Vorfeld, was an dem Tag priorisiert ansteht, aber dann höre ich zum Beispiel von einem Anruf vom Palliativteam, in dem es um die Aufnahme eines Kindes geht, das sich in seiner letzten Lebensphase befindet und nur noch kurze Zeit zu leben hat. Das wirft natürlich sämtliche Planungen über den Haufen, denn Sterbefälle oder finale Aufnahmen gehen immer vor.

Wenn es passt, besuche ich an “normalen” Arbeitstagen nach dem Betreten des Hauses die Pflegebereiche und erkundige mich, wie die Nacht verlaufen ist. Ich erkundige mich außerdem nach den Schwestern, denn ich bin als Seelsorger auch Ansprechpartner für die Hauptamtlichen. Anschließend suche ich mein Büro auf, nehme hausinterne Termine wahr und kümmere mich um Fragen von AnruferInnen, die nichts mit dem Regenbogenland zu tun haben, im Zusammenhang mit Sterben und Trauern. So hat mich heute etwa die Frage erreicht, ob wir einen Steinmetz vermitteln können.

Wir können den Kindern zwar nicht mehr Tage gönnen, aber die, die sie noch haben, sollen schön sein.

Wie erleben Sie die Kinder in ihren letzten Lebensmonaten? Welche Rolle spielt das Gebet bei den Kindern und ihren Angehörigen?

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Pastor Rainer Strauß: Ihre erste Frage kann man nicht pauschal beantworten. Mit vielen Kindern, die hier sind, kann ich nicht so normal kommunizieren, wie wir beide das jetzt tun. Sie können sich nur nonverbal mitteilen, durch Blicke und Gesten, weil sie schon so geschwächt sind oder weil es ihnen schon seit Geburt oder seit Jahren nicht mehr anders möglich ist. Bei den anderen Kindern erlebe ich auch ein Auf und Ab der Gefühle – dieses Hierbleibenwollen und wissen, gehen zu müssen.

Diese Spannung, die man nicht wahrhaben will und die man sich nicht aussuchen kann, hier zu bleiben. Dann erlebe ich auch wieder so viel Schönes, vielleicht ein Lachen oder es wird noch ein letzter Wunsch erfüllt, den jemand hat. So hatte ein Jugendlicher den Wunsch, getauft zu werden – einen Monat bevor er verstarb. Oder ein anderes Kind, das sich Schokoladennikoläuse wünschte und schließlich 512 Exemplare um sich scharren konnte, die von überall aus Düsseldorf herangeschafft wurden.

Das Leben und die Freude, das miteinander Lachen und Feiern spielt hier im Regenbogenland eine größere Rolle als die Traurigkeit.

Daneben besteht bei manchen Kindern und Jugendlichen auch zeitweilig der Wunsch, über spirituelle Fragen zu reden, über den Glauben, über den Sinn des Lebens, über das Sterben und was danach kommt. Dann kommt oft auch der Wunsch, noch einmal zu beten, auch von den Eltern. Und dann beten wir miteinander oder segnen das Kind.

Schaf
Oft wird noch ein letzter Wunsch erfüllt, den jemand hat
Foto: Achim Beiermann

Gebete spielen aber auch eine Rolle in unseren Kindergottesdiensten, die ich regelmäßig anbiete. Da beten wir zum Beispiel das Vaterunser und ich entspreche dem Wunsch nach Segnung oder Salbung des Kindes. Das Gebet kann dann bis zum Schluss eine Rolle spielen. Ich habe mehrmals erlebt, dass Eltern die letzten Stunden des Kindes unerträglich empfunden haben. Dann kam schon mal die Bitte, ein Gebet zu sprechen. Und dann ist es wiederholt passieren, dass nach dem Amen die Atmung endete. Zusammengefasst kann man sagen, dass das Gebet eine große Rolle spielt, auch für Menschen, die eigentlich kirchenfern sind.

Schon das Sterben älterer Menschen im persönlichen Umfeld ist sehr belastend. Deshalb wage ich mich nicht, mir vorzustellen, was das Sterben von Kindern mit einem macht. Wie gelingt Ihnen das Abschalten? Kann das Gebet Sie beim Abschalten unterstützen?

Pastor Rainer Strauß: Die letzte Frage kann ich ganz einfach mit ja beantworten. Wie gelingt das Abschalten? Es ist für mich ein Unterschied, welche Familie, welche Kinder oder Jugendliche ich begleite. Sind es welche, zu denen ich schon über Jahre eine gute Beziehung habe, ist das für mich selbst auch schwer. Da nehme ich es auch schon mal mit nach Hause.

Kommt hingegen eine Familie von der Klinik für die letzte Lebensphase, vielleicht nur noch für wenige Tage, dann geht es mir nicht ganz so nahe, weil hier noch kein großer Beziehungsaufbau stattgefunden hat. Natürlich bin ich auch traurig, wenn ein solches Kind stirbt, fühle mit den Hinterbliebenen mit, aber es geht mir nicht so nah, wie bei einem Kind oder Jugendlichen, mit dem ich in jahrelangem Kontakt stand.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Pastor Rainer Strauß: Gebet ist für mich der Kontakt zur Quelle des Lebens und das ist Gott und Christus. Der dreieinige Gott ist Ursprung und Ziel unseres Lebens.

Ich danke für das Gespräch.

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