
Wer alle Osterlieder im Evangelisch-Lutherischen Kirchengesangbuch nacheinander durchsingt oder durchliest, darf ca. 200-mal Halleluja singen oder lesen. Das ist natürlich kein Zufall. Ostern ist das Freudenfest der Kirche schlechthin. Da stimmen wir ein in eine lange Tradition, Gott zu loben. Es ist der Nachhall der Freude, die sich schon im Ostergruß der Alten Kirche ausdrückt: „Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Etwas Größeres gibt es in der Kirche nicht zu feiern. In seiner Auferstehung hat Jesus Christus dem Tod die Macht genommen und unvergängliches Leben auch für uns geschaffen. Gebe es Gott, dass diese Freude uns erhalten bleibt und wir sie mitnehmen in die vor uns liegende Festzeit.
Im Evangelium dieses Tages ist von Freude und Jubel allerdings erst einmal gar nichts zu hören und von Halleluja nichts zu vernehmen. Im Gegenteil: Sorge begleitet die drei Frauen auf dem Weg zum Grab. Entsetzen macht sich bei ihnen breit, als sie statt des Leichnams Jesu einen Engel im Grab finden. Und großes Zittern ergreift sie, als sie seine Botschaft hören. Fluchtartig verlassen sie schließlich den Ort des Geschehens. Und eigentlich ist es nur zu verständlich, wie die Frauen reagieren. Was am Ostermorgen nach dem Zeugnis des Engels geschehen ist, ist zum Entsetzen, weil es unbegreiflich und nicht nebenbei einfach so abzuhaken ist. Im Griechischen steht in diesem Zusammenhang das Wort ‚Ekstase‘. Die Frauen geraten in Ekstase. Sie haben nicht mehr die Gewalt über ihre eigenen Sinne.

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Blicken wir noch einmal zurück. Drei Frauen sind es: Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome. Sie sind bemüht, dem schrecklichen Geschehen vom Karfreitag einen würdigen und pietätvollen Abschluss zu geben. Sie hatten zugesehen, wie Josef von Arimathäa Jesus vom Kreuz abgenommen und ihn in sein eigenes Grab gelegt hatte. Zum Salben war danach keine Zeit mehr gewesen, weil der Sabbat im Anbruch war, an dem solche Arbeit nicht getan werden durfte. Jetzt endlich, früh am ersten Tag der Woche, können sie es nachholen, um damit dem Verstorbenen ihre Ehre zu erweisen. Über ihrem Vorhaben liegt jedoch eine schwere Niedergeschlagenheit. Mit hängenden Köpfen sind sie unterwegs zum Grab. Es ist der Herr, ihr Herr, der gestorben ist. Und damit ist ihre ganze Hoffnung zerstört. Sie sind gefangen im Schatten des Todes. An ihnen bewahrheitet sich, was der Apostel Paulus an die Korinther schreibt: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.“ Denn jetzt ist Christus gestorben und somit alles verloren und umsonst. Die Frauen rechnen mit der Endgültigkeit des Todes. Da sind sie ganz aufgeklärt und modern. Der Tod ist eine Macht, der niemand entkommen kann.
Dieses Gesetz liegt schwer auf uns allen. Wie sehr haben auch wir daran zu tragen, wenn sich der Tod oder seine Vorstufen bei uns ankündigen. Wie ungern gehen deshalb viele Menschen auf den Friedhof. Unausweichlich ist man da mit dem Tod konfrontiert, dass einem Angst und Bange werden kann. Der Tod ist endgültig. Eine Flucht oder ein Ausbrechen gibt es nicht. Die Frauen wollen mit ihrem Vorhaben eigentlich nur ihr Ausrufezeichen hinter den Tod ihres Herrn setzen. Es ist die Katastrophe schlechthin. Und dann kommen sie zum Grab und alles wird ganz, ganz anders. Die Sorge mit dem Stein an der Grabestür entpuppt sich als unbegründet. Denn das Grab ist offen. Und nicht nur das. Es ist leer. Jesus, ihr begrabener Meister, ist nicht da.
Allein der Engel gibt Auskunft. Was er jetzt zu sagen hat, ist die Mitte unseres Evangeliums: Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da, die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
So haben wir hier beides nebeneinander: Die Frauen und ihre gelähmte Stimmung sind das eine – die Botschaft des Engels und die Auferweckung Jesu von den Toten das andere. Hier prallt es aufeinander. Die Frauen begreifen von der unendlichen Größe und Herrlichkeit dieser Engelbotschaft an unserer Stelle noch nichts. Von einem ersten Osterfest oder gar von unbändiger Halleluja-Freude sind sie meilenweit entfernt. Da muss noch viel geschehen. Immer wieder müssen sie es hören. Die Auferstehungspredigt muss ihre Herzen erst langsam weich klopfen. Es wird zur Freude kommen, aber hier in unseren Versen erklingt sie noch nicht.
Man muss sich über solch gebremste Osterfreude gar nicht wundern. Denn die Botschaft des Engels passt nicht in diese Welt – auch heute nicht. Und sie wird trotzdem verkündigt, auch gegen alle Glaubensschwäche. Der Engel bleibt dabei, weil er in dieser Stunde und an diesem Ort nichts anderes zu sagen hat: Der Herr ist auferstanden! Der Tod ist besiegt! Die schreckliche und allgegenwärtige Endgültigkeit des Todes hat Jesus Christus durchbrochen. Wohlgemerkt: durchbrochen, nicht einfach aufgeschoben. Jesus ist nicht einfach in dieses Leben „zurückgestorben”, um dann den gleichen Weg noch einmal vor sich zu haben. Das Grab ist und bleibt leer.
Der Auferstandene steht jetzt auf der anderen Seite. Er hat den Tod hinter sich. „Ich war tot“ – spricht er als der Erhöhte in der Offenbarung des Johannes – „und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Die Verhältnisse haben sich komplett geändert: Jetzt ist er der Herr über den Tod und über seine Macht. Die Zeit der Erniedrigung hat ein Ende. Seine Gewalt im Himmel und auf Erden kann nach Ostern niemand mehr durchstreichen. Christus lebt und regiert alle Tage bis an der Welt Ende. Uns wird es verkündigt, und wir sind zum Glauben und zur Freude gerufen.
Aber Ostern ist noch mehr. Viel mehr. Darum haben wir auch noch viel mehr Grund zum Feiern. Denn Ostern ist nicht bloß das Fest der Auferstehung Christi. Es ist durch seine Auferstehung auch das Fest unserer Auferstehung. Hören wir noch einmal genau auf die Worte des Gottesboten. Der blickt nämlich im Grab ganz bewusst noch einmal zurück zum Karfreitag, und sagt nicht nur: „Jesus von Nazareth ist auferstanden!“, sondern: „Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, ist auferstanden!“ Er ist nicht irgendwer; nicht irgendein Meister irgendwelcher Jünger. Er ist der, den Gott der Vater ganz zielgerichtet ins Rennen geschickt hatte und deswegen für uns ans Kreuz hatte schlagen lassen. Sein Sohn und unser Herr hing nicht für sich am Kreuz: An unserer Sünde, an unserer Krankheit, an unseren Schmerzen und an unserer Verlorenheit ist er gestorben, oder besser: musste er sterben. Wegen uns musste es so weit kommen, dass er gerufen hat: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen!“

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Es sind also auch wir, die ihn dahin getrieben haben. Und er hat es bis zum letzten Atemzug ausgehalten, hat die Strafe auf sich legen lassen und sich nicht davor gedrückt. Unseren Tod ist er gestorben und so ins Grab gelegt worden. Diesen Gekreuzigte, und niemand anders verkündet der Engel als den Auferstandenen. Gott der Vater hat ihn auferweckt. Genau diesen Jesus von Nazareth. Und damit setzt der Vater sein Siegel unter das stellvertretende Opfer des Sohnes. Der Engel weiß um diese Zusammenhänge: Guckt her ihr Frauen – das müsst ihr sehen, weil es euch angeht, auch wenn ihr es jetzt nicht glaubt: Das Grab ist leer. Der Tod ist tot.
Verstehen wir, was das bedeutet? Es geht um uns! Der auferstandene Christus hat auch unser Grab durchbrochen. Ostern ist so, als ob der Gekreuzigte auch aus unserem Grab auferstanden ist. Seither gilt es und steht ganz fest: Unser Grab, in das wir vielleicht schon bald, vielleicht noch lange nicht, aber irgendwann bestimmt gelegt werden, unser Grab ist schon für die Auferstehung geöffnet. Es ist infiziert mit dem Leben des Auferstandenen. Wir dürfen uns darauf verlassen, dass niemand unser Grab zuhalten kann. Die Botschaft des Engels, diese Gewissheit der Auferstehung des Gekreuzigten will uns zur Vorfreude anstecken. Sie will unsere Angst vor dem Tod vertreiben. Sie will uns trösten, wenn unsere Herzen an den Gräbern schwer werden und die Tränen einfach so fließen.
Die beiden Marias und Salome zeigen uns, dass dies so eine Sache ist. Sie zeigen uns, was uns wahrscheinlich gar nicht mehr gezeigt zu werden braucht: Sorge und Mutlosigkeit kommen immer wieder und lassen sich nicht so einfach verjagen. Im Alltag begegnet uns vieles, an dem wir zu tragen und oft sehr lange zu knabbern haben. Das ist unsere menschliche Wirklichkeit. Sie lässt sich nicht wegdiskutieren. Und trotzdem verschweigt der Engel seine Botschaft nicht. Genauso wenig dürfen wir sie verschweigen, auch wenn in unserem Leben alles dagegenspricht. Wenn es uns komplett so geht wie den Frauen unseres Evangeliums, dass wir alles andere als zuversichtlich und fröhlich sind: Lassen wir uns diese Botschaft gesagt sein, Wort für Wort: Jesus, – der Gekreuzigte – ist – auferstanden! Keine Not in unserem Leben kann so groß sein, dass sie durch den Sieg unseres Herrn nicht schon längst ihre letzte Kraft verloren hat.

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Die Botschaft des Engels geht noch weiter. Er spricht zu den Frauen: Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Der Blick braucht nicht mehr nach hinten zu gehen. Die Jünger brauchen nicht wehleidig in schönen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit ihrem Herrn herumzukramen. Der Herr geht voran. Er weist jetzt erst recht den Weg. Auch nach der Auferstehung, durch die unsere Lebensrettung besiegelt ist, lässt er seine Leute nicht allein. Er will auch jetzt mit ihnen Gemeinschaft haben. Er geht voran.
Das gilt auch für uns über diese geschichtliche Begegnung Jesu mit den elf Jüngern hinaus. Wir wissen, was sie dort von ihm hörten: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Halten wir uns bei dem ersten Entsetzen der Frauen nicht auf. Dier Kirche soll hingehen und die große Osterfreude weitersagen. Wo immer sie das tut, wo immer wir unseren Fuß hinsetzen: Christus ist schon da! Was immer uns begegnet, wie oft wir auch noch der Kapitulation nahe sind: Jesus ist bei uns als alle Tage bis an der Welt Ende! Gehen wir nur getrost los und tun wir, was er geboten hat.
Furcht und Zittern bewegt die Frauen am Grab. Mit Furcht und Zittern suchen sie das Weite. Es dauert noch, bis sie ins Halleluja einstimmen. Die harte Kruste ihres Herzens muss erst noch durchbrochen werden. Aber sie haben die Botschaft gehört. Der Ruf zur Freude hat sie erreicht. Das verbindet uns mit ihnen. Der Herr schenke uns, dass unsere Herzen gegen alle Widerstände überwunden werden und wir einstimmen können in die große Freude, die alles überstrahlt. Vielleicht nicht 200-mal, aber doch wenigstens so: Der Herr ist auferstanden, Halleluja! – Er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja! Amen.
Text mit freundlicher Genehmigung von Andreas Rehr, Pastor der Dreieinigkeitsgemeinde Hamburg (SELK)