Machen wir es wie Gott – werden wir Mensch!

Dr. Wolfgang Reuter

Herr Dr. Wolfgang Reuter ist Klinikpfarrer, Koordinator der Behinderten- und Psychiatrieseelsorge, Pastoralpsychologe und Psychoanalytiker. Er arbeitet als katholischer Seelsorger im LVR-Klinikum Düsseldorf  – Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Das LVR-Klinikum Düsseldorf ist sowohl psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutische Fachklinik als auch Universitätsklinik. Es ist zuständig für die Versorgung der Einwohner der Stadt Düsseldorf (mit Ausnahme der nördlichen Stadtteile) und übernimmt weitreichende Forschungsaufgaben. Ich habe Herrn Dr. Reuter zum Beten in diesem besonderen Umfeld befragt.

Herr Dr. Reuter, werden Sie als Krankenhausseelsorger häufig gebeten, für oder mit einem Patienten zu beten?

Herr Dr. Reuter: Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Das hängt damit zusammen, was Menschen eigentlich unter „beten“ verstehen. Wenn damit gemeint ist, ein klassisches Gebet für sie oder mit ihnen zu sprechen – ja, das kommt immer mal wieder vor. Da steht das Vater Unser auf der Liste ganz oben, andere klassische Gebete auch. Bei den katholischen alten Menschen steht auch das Gegrüßet seist Du, Maria recht hoch im Kurs. Miteinander ein Gebet zu sprechen, also zu beten, schließt ganz oft ein seelsorgliches Gespräch ab. Manch einer wünscht sich auch noch einen Segen. Das ist dann kein mystischer Zauber, sondern die Zusage aus unserem Glauben, dass Gott mit uns Menschen auf dem Weg ist, was auch immer passiert sein mag oder wie es einem auch immer ergeht. Also, das wäre mal die einfache Variante einer Antwort.

Manchmal bin ich als Seelsorger auch gefragt, latenten Gebetswünsche wahrzunehmen.

Etwas schwieriger wird es, wenn der Gebetswunsch verschlüsselt ist. Oder wenn ich den Eindruck habe, der/die Andere möchte wohl beten, bringt aber diesen Wunsch nicht raus; hat vielleicht auch nur ein ganz geringes Empfinden für seinen Gebetswunsch. Das begegnet mir oft. Hier bin ich dann als Seelsorger schon gefragt, diese latenten Wünsche wahrzunehmen. Also, damit meine ich nicht, das in den Menschen hineinzuinterpretieren, sondern mit ihm zusammen diesen Wunsch zu entdecken. Es geht dann darum, solche Wünsche freizulegen und dann auch mal von mir aus das Angebot zu machen, das Erlittene und das Gesagte in ein Gebet zu fassen, es als Gebet abzuschließen.

Dafür gibt es dann aber sehr oft kein vorformuliertes Gebet. Ich bin immer wieder beeindruckt davon, wie wir miteinander Worte zum Beten suchen und sie auch finden. Das ist manchmal ganz leicht, andererseits ist es oft auch unmöglich, die richtigen und passenden Worte zu finden. Und doch geht es irgendwie und es entstehen sehr persönliche Gebete. Ich nenne das ‚Alltagspsalmen‘. Sie ähneln den klassischen Psalmen aus der Bibel. Die kommen ja auch aus dem Alltag, insbesondere aus der Not des Alltags und werden seit Jahrtausenden bis heute gebetet, bei Juden wie bei Christen.

LVR Klinikum Düsseldorf
LVR-Klinikum Düsseldorf
Foto: Achim Beiermann

Wenn ich eingangs sagte, die Frage nach dem Beten sei gar nicht so leicht zu beantworten, dann meine ich damit, dass das Beten mit kranken Menschen, bei mir ja auch mit psychisch Kranken, meistens ein sehr komplexes Beziehungsgeschehen ist – sowohl zwischen Mensch und Mensch, als auch zwischen Mensch und Gott. Und, das will ich aber auch sagen, es ist eine sehr schöne Erfahrung.

Erfahren Sie das Beten in Ihrer Begleitung kranker Menschen als heilend/heilsam?

Herr Dr. Reuter: Auch das ist nicht einfach zu beantworten. Warum? Nun, das Beten ist ja keine Garantie dafür, dass man dadurch auch gesund wird. Natürlich beten viele Leute um Gesundheit. Ganz ehrlich, ich mach das auch schon mal. Man kann ja bitten. Aber es ist kein Automatismus. Beten heilt nicht im medizinischen Sinne, wiewohl viele genau das gerne hätten. Die Erfahrung ist aber oft die, dass trotz aller und trotz vieler Gebete, sich Gesundheit im allgemeinen Sinn nicht einstellt. Sich von dieser Verknüpfung – beten soll gesund machen und heilen – zu lösen, kann sehr heilsam sein. Das Wort gefällt mir: heilsam.

Beten kann uns stärken und ein Trost sein. Kein Trost der trügt, aber ein Trost der trägt!

Es bringt für mich zum Ausdruck, dass es anstelle der (medizinischen) Heilung andere Konsequenzen des Betens gibt. So klar ich auf der einen Seite sage, dass das Beten nicht heilt, so klar sage ich andererseits, dass ich immer wieder mit Menschen zusammen die Erfahrung teilen darf, dass es sehr wohl heilsam ist. Mit „heilsam“ meine ich, dass das Beten uns nicht von Symptomen des Krankseins befreien muss. Das kann es ja gar nicht. Aber Beten kann uns stärken und ein Trost sein. Kein Trost der trügt, aber ein Trost der trägt!

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Zur heilsamen Dimension des Betens gehört es dann, dass man nicht nur was von Gott erbittet, sondern ihm zuweilen auch schon mal gewaltig den Marsch bläst. Dieser Tage war ich dabei, wie ein Mann Gott seine ganze Wut um die Ohren gehauen hat. Gebet ist auch Klage, manchmal sogar Anklage, genauso wie Bitte und Dank. Wenn es im Großen und Ganzen zweckfrei ist, dann ist Beten heilsam.

Welche Bedeutung spielt für Ihre Arbeit der Ort des Gebetes im Sinne von “Kann man überall beten”?

Herr Dr. Reuter: Ja, das glaube ich ganz fest: Man kann überall beten. Im Patientenzimmer genauso, wie im Park oder im Garten der Klinik. Wir haben im LVR-Klinikum eine wunderbare Parkanlage, sogar mit einem alten Friedhof. Hier bete ich oft mit Menschen, wenn wir auf einem Spaziergang miteinander unterwegs sind. Einige wunderschöne Bänke bieten sich an. Wir sitzen dort in der Sonne und die lädt dann selber zum Beten ein.

Gott ist überall
Kirche auf dem Gelände des Klinikums
Foto: Achim Beiermann

Ein sehr schöner Platz ist auch vor der Klinikkirche. Einige Bänke laden hier unter alten Bäumen zum Verweilen ein. Zugleich haben wir die Kirche im Blick. Die ist natürlich auch ein zentraler Ort des Betens. Natürlich in den Gottesdiensten, wo wir als Gemeinde miteinander beten. Oder ich gehe mit einzelnen Menschen in die Kirche, weil sie genau darum bitten, hier einen Moment bleiben und beten zu dürfen. In der Kirche liegt ein Fürbitten-Buch aus. Hier hinein schreiben viele Menschen ihre Bitten, ihre Anliegen, auch ihre Gebet für andere.

Beten kann man an jedem Ort.

Ich habe da schon so viele bewegende und berührende Texte gefunden: Bitten, Klagen Lobesshymnen, … alles. Ein richtiger Gebetsschatz am Ort des Gebetes. Eine Frau, die jeden Tag mit der Straßenbahn von zu Hause in die Tagesklinik kommt, erzählte mir, dass sie in der Straßenbahn betet. Ich habe sie gefragt, wie sie das denn macht und sie sagte, das sei doch das Einfachste: „Einfach hinschauen und Gott (innerlich) mit ins Spiel bringen“. Ich glaub das auch: Beten kann man an jedem Ort. Ich selber finde es auch sehr schön in der Kirche, als einem ganz besonderen Ort, wo ich dann gerne auch mal eine Kerze für ein Anliegen anzünde.

Gibt es in der Weihnachtszeit für Sie mehr bzw. andere Gebetsanliegen?

Herr Dr. Reuter: Naja, an Weihnachten haben doch viele Menschen nochmal besondere Anliegen und Wünsche. Gerade die Kranken möchten dann nicht alleine sein, sehnen sich nach ein paar Stunden mit ihren Lieben. Das fließt gewiss in die Gebete mit ein. Und dann ist da ja noch die Weihnachtsbotschaft der Bibel. Die gibt uns ja die Themen schon vor, um die es sich zu beten lohnt: Herbergs- und Heimatsuche, Friede auf Erden, Ehre für die Menschen und für Gott, Menschlichkeit – alles ganz aktuelle Themen, und das seit 2000 Jahren. Für mich selbst ist es an Weihnachten übrigens immer ein großes Thema, um mehr ‚Mit-Menschlichkeit‘ zu beten. Ich bete dann gerne so – mein weihnachtliches Stoßgebet: „Machen wir es wie Gott – werden wir Mensch“.

Ich danke für das Gespräch.

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