
… und spüren, dass da noch etwas oder jemand Größeres ist
„Jetzt hilft nur noch beten“– diesen Satz habe ich vor kurzem wieder einmal gehört. Von jemandem, der sich große Sorgen macht über die gegenwärtige Situation in unserem Land und in der Welt.
Ein Ausspruch, den man hören kann, wenn eine Situation so schwierig erscheint, dass man mit den eigenen menschlichen Kräften und Möglichkeiten nicht mehr damit fertig wird. Anlässe für einen solchen Ausspruch scheint es ja derzeit genug zu geben. Es sind so viele Krisen und Kriege, die einem Angst machen können und bei denen man sich ohnmächtig fühlt. Auch die Sorge, was denn in Deutschland los ist, ob sogar die Demokratie gefährdet ist, beunruhigt viele.

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„Jetzt hilf nur noch beten.“ Wer diesen Satz sagt, denkt immerhin daran, dass er doch auch noch das Gebet hat. Für andere ist vielleicht das schon keine Möglichkeit mehr, mit einer Situation umzugehen, da man mit dem Beten schon längst aufgehört hat.
Dennoch, in manchen Situationen kommt das Gebet vielleicht doch in den Sinn. „Wenn et Bädde sich lohne däät“ (Wenn sich das Beten lohnen würde) hat vor einigen Jahren die Gruppe BAP einmal in kölschem Dialekt gesungen: „Für all dat, wo der Wurm drinn, für all dat, wat mich immer schon quält, für all dat, wat sich wohl niemohls ändert. Klar – un och für dat, wat mir jefällt.“ Und die Gruppe bekennt sich im Lied weiter dazu, dass die Sänger vielleicht die beneiden, die glauben können. Aber auch für einen glaubenden Menschen gibt es die Not, nicht nur den Segen des Gebets. Lohnt es sich denn zu beten? Verändert sich denn etwas durch das Gebet und hört oder erhört jemand dieses Rufen? Der Segen wäre doch, dass sich etwas ändert, zum Guten wendet oder dass man doch in irgendeiner Weise Antwort bekommt.
Schon immer haben Menschen auf vielfältige Weise gebetet. Das Volk Israel hat immer den persönlichen Kontakt zum lebendigen Gott Jahwe gehalten, auch wenn sie mal vom Glauben abgeirrt sind. Im Gebet haben sie ihr Volk und das ganze Menschenleben vor Gott zur Sprache gebracht. In den Psalmen ist uns ein großer Gebetsschatz überliefert. Oft ist der Wunsch der Angehörigen bei einer Beerdigung, dass doch am Grab der Psalm 23 gelesen wird: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird fehlen…“ Die ganze Sehnsucht, dass es angesichts des Todes doch gut wird und es Hoffnung gibt, drückt sich darin aus.
Jesus selbst hat gebetet. Er hat ganz aus der Verbundenheit mit Gott, mit Abba, seinem Vater, gelebt. Sein unerschütterliches Vertrauen in Gott war da – bis zum Kreuz. Selbst sein Ruf in der Gottverlassenheit, war noch ein Gebet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – der Anfang von Psalm 22. Seinen Jüngerinnen und Jüngern hat er ein Gebet mitgegeben, das zum Gebet der ganzen Christenheit geworden ist, das Vater unser.
Wer betet, der spürt, dass er nicht nur aus sich selbst lebt, sondern dass da noch etwas oder jemand Größeres ist als er selbst. Für ihn wird klar: Ich darf sein, weil sich Gott mir schenkt, in seiner Liebe. Wenn ich bete, dann stelle ich mich vor Gott. So stelle ich es mir auf jeden Fall vor. Ich lasse mich von Gott anschauen. Ich mache ihm nichts vor und muss es auch nicht. Ich mache mich vor Gott sogar bloß, zeige Blöße. Ich halte mich und die Blößen dieser Welt Gott hin. Und ich vertraue seiner Macht, auch wenn sie sich mir in der Ohnmacht der Liebe zeigt. Nein, das Gebet ist nicht das fromme Mittel, um bei Gott Wünsche durchzusetzen. Für mich ist es die geöffnete Tür, durch die Gott in mein Leben eintritt. Gott ist mir von vornherein so zugeneigt, dass er sehr gerne bei mir eintreten möchte. Wenn ich bete, bitte ich eigentlich zuerst um Gott selbst. Alle anderen Bitten, die mich zu Gott führen, fügen sich dann ein. Gott erhört mein Gebet, allein schon dadurch, dass er mir erlaubt, dass ich beten darf. Vielleicht finde ich schon dadurch zu innerem Frieden, zur Zuversicht, auch wenn mein Gebet mit Verzögerung oder ganz anders in Erfüllung geht. Vielleicht kann ich dann abschlägige Gebetswünsche und andere Fügungen annehmen, weil ich darauf vertraue, dass Gottes Wille für mich immer das Gute ist.
„Jetzt hilft nur noch beten.“ Ich möchte gerne das „Jetzt“ und das „nur“ unterstreichen. Das Gebet ist der Anfang von allem Handeln. Das wäre schon mal gut, denn dann wäre schon die gute Absicht für das Tun darin. Mir ist der alte Spruch meiner Mutter noch immer im Herzensgedächtnis: „Mit Gott fang an, mit Gott hör auf, das ist der schönste Lebenslauf.“ Ich weiß, dass mein Dasein begrenzt ist und alles seine Grenzen hat. Wenn ich mein begrenztes Leben und Tun ins Gebet bringe, dann werfe ich mich auf die Allmacht Gottes zurück. Und das entlastet mich auch. Betend gebe ich mein Leben aus der Hand – in Gottes Hand – im Bewusstsein, dass ich keine letzte Verfügbarkeit darüber habe. Und dann bin ich wieder bei Jesus: Ich gehe den Weg mit ihm. Im Gebet lasse ich mich führen, selbst dorthin, wohin ich nicht will (oder eigentlich wollte).
Mir helfen dabei feste Zeiten des Gebets – auf jeden Fall am Morgen beim Aufstehen und am Abend beim Schlafengehen. Das hilft mir, dass mein Beten nicht versandet. Und manchmal formuliere ich ganz gerne selbst. Aber manchmal bin ich auch froh auf besagte Schätze wie die Psalmen oder das Vater unser zurück greifen zu können.
Ich kenne dabei die immer wiederkehrende Not auch bei mir selbst. Da gib es die Zerstreuung, die Trockenheit, die Unlust und das Schweigen Gottes. Da gibt es Glaubenskrisen und Kirchenkrise, das Verstummen des Gebets in Familie, bei Freunden und Nachbarn, die Verweltlichung des Lebens. Und dann erlebe ich für mich auch dies: Wer betet, ist nie allein!
Der Satz eines großen Beters, Reinhold Schneider, kommt mir diesen Tagen immer wieder in den Sinn. Da ist die Hoffnung und die Zuversicht, dass das Gebet eben doch ein Segen ist: „Allein den Betern kann es noch gelingen, /Das Schwert ob unseren Häuptern aufzuhalten / Und diese Welt den richtenden Gewalten / Durch ein geheiligt Leben abzuringen“.
Text mit freundlicher Genehmigung von Erhard Bechtold und Kirsten Zimmerer / Konradsblatt