Gottes verrückte Liebe

Familie Zeier in Peru

Herr Dr. Benjamin Zeier ist Facharzt für Urologie. Im Januar 2020 wanderte er mit seiner Familie ins peruanische Hochland aus und übernahm dort die urologische Versorgung im Missionshospital Diospi Suyana. In diesem Krankenhaus werden die ärmsten Einwohner Perus medizinisch versorgt. Ich freue mich, dass Herr Zeier sich die Zeit für die Beantwortung der folgenden Fragen genommen hat.

Herr Dr. Zeier, ich habe Sie und Ihre sympathische Familie vor wenigen Monaten in der Serie “Goodbye Deutschland” gesehen, die regelmäßig auf dem TV-Sender Vox läuft. Als ZuschauerIn durfte man miterleben, wie Sie mit Ihrer Familie die “Komfortzone” Deutschland verließen, um in das kleine peruanische Bergdorf Curahuasi zu ziehen. In Curahuasi lebt das indigene Volk der Quechua in bitterer Armut. Wie kam es zu Ihrer Entscheidung?

Dr. Benjamin Zeier: Damit Sie diese Geschichte verstehen, muss ich Sie mitnehmen zu einem Tag im April 2017. Meine Frau Lena und ich saßen bei Freunden auf der Couch. Wir hatten einen schönen Abend zusammen. Marc, unser Freund, erzählte davon, dass in ein paar Tagen ein Arzt aus Peru einen Vortrag ganz in der Nähe halten würde. Er hatte dort in den Bergen ein Krankenhaus gebaut.

Ganz ehrlich: Mich interessierte das überhaupt nicht. Wir hatten vor zehn Monaten unser frisch renoviertes Eigenheim bezogen. Was interessiert mich da das Leid dieser Welt. Uns ging es gut und daran wollte ich auch nichts ändern. Einzig meine Frau wollte zu diesem Vortrag. Sie hatte von dem Krankenhaus schon einmal was gehört. Und so kam es, dass wir am 18. April 2017 Klaus-Dieter John, den Gründer kennenlernten.

Sein Vortrag war voll von wundersamen Geschichten. Viele lassen sich einfach nicht mit dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit erklären. Auch wenn ich das alles spannend fand, für mich gab es dort keinen Platz und auch keinen Grund an meinem bequemen Leben in Deutschland etwas zu ändern. Nach einem kurzen Smalltalk bat mich Klaus John lediglich um meine E-Mail-Adresse und meinen Namen. Dann flog er zurück nach Peru.

Ich weiß, dass das Kapitel der Reproduktion für uns vorbei ist, bitte zeig mir, was das nächste Kapitel in unserer Familiengeschichte ist.

Am 6. März 2018, also 11 Monate später, stand ich kurz nach Mitternacht im Kreißsaal unserer lokalen Klinik. Lena hatte gerade unser fünftes Kind zur Welt gebracht. Es war 0:30 Uhr. Ein zauberhafter Moment. Wir beide hatten uns vorher darauf geeinigt, dass es unser letztes Kind sein würde. Eine Stunde später verließ ich den Kreißsaal. Ich tat das, was ich nach jeder Geburt getan hatte. Oberhalb von Mosbach steht ein altes Holzkreuz. Dort fuhr ich hin und kniete mich in den Straßengraben.

Es war eine kalte Märznacht. Kurz nach halb zwei. Der Mond schien mir ins Genick. Ich betete: “Lieber Gott, danke, dass alles gut gegangen ist.” Und dann passierte etwas, das mich selbst überraschte. Ich betete mit einem Mal: “Ich weiß, dass das Kapitel der Reproduktion für uns vorbei ist, bitte zeig mir, was das nächste Kapitel in unserer Familiengeschichte ist.” Irgendwie war dieses Gebet von selbst entstanden. Verwirrt fuhr ich nach Hause, schlief kurz und holte gegen halb fünf Lena aus der Klinik ab. Es war eine ambulante Entbindung.

Der Tag verlief ganz normal. Lena war mit den Kindern daheim. Ich kümmerte mich um die Erledigungen. Doch irgendwie ließ mir das Gebet keine Ruhe. Ich kam abends nach Hause. Jonas war eingeschlafen und Lena kam gerade die Treppe herunter. Direkt an der Haustür platzte es aus mir heraus.

„Lena“, sagte ich, “ich war heute Nacht wieder an meinem Kreuz. Ich habe dort etwas ganz Merkwürdiges gebetet: Bitte zeig mir, was das nächste Kapitel in unserer Familiengeschichte ist.“ Lena stand wenige Stufen oberhalb auf der Treppe. Sie blickte mich an und sagte: “Hast du deine E-Mails heute schon durchgeschaut? Klaus John hat dir aus Peru geschrieben.” Für uns beide war sofort klar, was das zu bedeuten hatte. Es war die Antwort auf eine Frage, die ich eigentlich gar nicht gestellt hatte.

Herr Dr. Zeier und ein Patient
Foto: Dr. Benjamin Zeier

Was soll ich sagen? In diesem Augenblick stand unsere Welt für einen Moment still. Alles, worauf Gott wartete, war eine Antwort. “Bist du dabei? Ich habe etwas Neues vor. Bist du bereit, meinen Traum für dein Leben zu leben?” Meine Frau hatte schon längst ihre Entscheidung getroffen und für mich die nächste Frage parat: “Wann geht es los?”

Seit diesem Moment im März 2018 hat sich das Meiste in unserem Leben geändert. Jede Entscheidung hat eine neue Zielkoordinate bekommen und für uns als Familie ist eine neue Zeitrechnung angebrochen. An diesem Tag haben Lena und ich beschlossen, alles auf Null zu setzen. Wir haben unser Haus, unsere Autos und unseren Besitz verkauft. Heute, Jahre später, leben wir mit unseren fünf Kindern im Armenhaus Perus. Ich arbeite als ehrenamtlicher Arzt in einem der größten Missionshospitäler Südamerikas und meine Familie begleitet mich dabei.

Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hat Gott Ihnen also die Richtung gezeigt, in die Ihr neues Leben künftig gehen sollte. Diesen Willen Gottes zu erkennen ist für mich das eine, das andere und für mich viel schwieriger wäre, diesem Willen mit allen Konsequenzen für Sie und Ihre Familie zu folgen. Eine ganz praktische Frage: Wie finanziert sich das Krankenhaus in Curahuasi und wie werden Sie für Ihre ärztlichen Leistungen bezahlt?

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Dr. Benjamin Zeier: Unser Krankenhaus wird im Wesentlichen von Spenden finanziert. Sachspenden von Firmen sowie Geldspenden von über 1.000 regelmäßigen Spendern. Einen kleinen Teil bezahlen die Patienten für die Behandlung. Dazu kommt: Wer als Missionar hier arbeitet, bekommt keine Vergütung. Es gibt auch keine Sachleistungen. Jeder muss für seinen Lebensunterhalt, wie Strom, Wasser, Miete, Essen, Mobilität, Schule, etc. selbst aufkommen. Und das geht nur, weil es Spender in der Heimat gibt. Jeder Missionar ist also dafür zuständig, einen Freundeskreis aufzubauen, der für genau diese Lebenskosten aufkommt. In unserem Fall haben wir als Partnerorganisation die “Vereinigte Deutsche Missionshilfe e.V.“, die Spenden für uns entgegennimmt und monatlich ein kleines Gehalt an uns auszahlt, mit dem wir diese Kosten decken.

Ihre Lebenswirklichkeit als Arzt stellt sich in Curahuasi sicher ganz anders dar, als wir das in Deutschland kennen. Wie sieht für Sie ein typischer Arbeitstag im Krankenhaus aus?

Dr. Benjamin Zeier: Mein “Arbeitstag” beginnt meistens schon, bevor ich im Krankenhaus ankomme. Für mich ist das Wichtigste, den Tag mit Gottes Wort zu beginnen. Nach dem Frühstück bringe ich meistens die Kinder in die Schule. Kurz vor 8:00 Uhr bin ich dann im Krankenhaus.

Wartende PatientInnen vor dem Krankenhaus
Foto: Dr. Benjamin Zeier

Jeder Tag beginnt mit einer Frühbesprechung der Ärzte. Danach Visite, Entlassungen, Sprechstunde, OP. Immer wieder kommen dann auch Notfälle dazwischen. Außerdem poste ich (fast) jeden Tag ein kurzes Ein-Minuten-Video auf Social Media (unter @ missionsarzt auf Tiktok, Instagram, Youtube, Facebook). Meistens mit einem kurzen Impuls oder etwas Spannendem, das ich heute erlebt habe. So können andere an unserer Arbeit teilhaben. Und für mich ist das so eine Art digitales Erinnerungsbuch.

Wir sind uns sicher: Gott hat uns gerufen.

Und fast immer ergeben sich Aufgaben und Herausforderungen zwischendurch. So musste ich beispielsweise mein medizinisches Staatsexamen noch einmal auf Spanisch schreiben, den Führerschein erneut machen und irgendwelche Behördenaufgaben erledigen. Aktuell steht die Prüfung für den Röntgenschein an. Auch für diese nicht-medizinischen Aufgaben brauche ich zwischendrin Zeit. Meistens bin ich zum Abendessen um 18:00 Uhr wieder daheim. Und danach ist der Tag gegen 21:00 Uhr vorbei.

In dem Beitrag auf Vox gibt es eine berührende Szene, in der Sie im Krankenhaus an einem Gottesdienst in der Krankenhauskapelle vorbeikommen und sinngemäß sagen: “Sehen Sie, deshalb mache ich das alles!”. Welche Bedeutung spielen Ihr Glaube und das Gebet für Sie und Ihre Familie bei Ihrem Engagement in Curahuasi?

Dr. Benjamin Zeier: Wir sind uns sicher: Gott hat uns gerufen. Und nur deshalb sind wir hier. Ganz ehrlich: Wir haben uns das nicht ausgesucht. Das Leben hier ist nicht das “Traumleben”, das wir uns noch vor Jahren vorgestellt haben. Mit Sicherheit, Reichtum, Wohlstand, Bildung für die Kinder … Aber es ist genau der Ort, an dem wir für diesen Moment unserer Familiengeschichte sein sollen.

Corrie ten Boom sagte einmal: “Der sicherste Ort auf Erden ist im Zentrum von Gottes Willen.” Und das erleben wir als Familie – bei allen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Gefahren, denen wir jede Woche begegnen.

Der sicherste Ort auf Erden ist im Zentrum von Gottes Willen.

Aber nochmal zurück zu dem angesprochenen Moment in der VOX-Sendung. Mich berührt es immer wieder, wenn ich morgens unseren Gottesdienst besuche. Denn noch mehr als eine Begegnung mit einem Arzt wünsche ich meinen Patienten, dass sie in unserem Krankenhaus eine Begegnung der Liebe ihres himmlischen Vaters haben. Körperliche Heilung ist wichtig, ohne Zweifel. Und dafür sind wir auch da. Und trotzdem gibt es mehr!

Was mich in diesem speziellen Moment berührt hat, waren die Zeilen, die unser Musikteam gesungen hatte. Es war das Lied “Reckless love” von Cory Asbury:

Oh, the overwhelming, never-ending, reckless love of God
Oh, it chases me down, fights ’til I’m found, leaves the 99
And I couldn’t earn it

I don’t deserve it, still You give yourself away
Oh, the overwhelming, never-ending, reckless love of God

Diese Zeilen erzählen von Gottes “verrückter Liebe”. Die 99 zurücklässt, um den EINEN zu suchen.

Und genau das ist, wofür mein Herz hier schlägt. Es gibt so viel Not und Elend. Wir leben hier mittendrin. Und ja. Ich kann nicht die ganze Welt verändern. Aber ich kann die ganze Welt für den EINEN verändern. Und dafür stehe ich jeden Morgen auf und tue das, was ich tun kann.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Dr. Benjamin Zeier: Gebet ist für mich Leben.

Ich danke für das Gespräch.

Wenn Sie Herrn Dr. Zeiers Mission in Peru finanziell unterstützen möchten, dann klicken Sie bitte hier.

Übersetzung des Lieds “Reckless love” von Cory Asbury:

Oh, wie endlos, überwältigend, waghalsig ist Gottes Liebe.
Oh, du kämpfst für mich und spürst mich auf,
lässt neunundneunzig zurück.
Ich weiß genau, dass ich’s nicht verdient hab’,
doch du gibst dich für mich hin.
Oh, wie endlos, überwältigend, waghalsig ist Gottes Liebe.

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