
Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.
Jesaja 49,15
Vergessen werden – das ist eine der tiefsten Ängste vieler Menschen. Nicht mehr gesehen werden. Keine Rolle mehr spielen. Einfach durch das Raster des Lebens fallen. In Beziehungen, im Beruf, im Alter, in Krisen.
In Jesaja 49,15 spricht Gott genau in dieses Gefühl hinein. Mit einem starken Bild: Kann eine Mutter ihr Kind vergessen? Fast unvorstellbar. Und selbst wenn das passieren sollte, sagt Gott – ich vergesse dich nicht.
Diese Worte stammen aus einer Zeit, in der das Volk Israel verzweifelt war. Man fühlte sich verlassen, gescheitert und weit weg von Gott. Diese Situation lässt sich leicht übertragen auf heutige Erfahrungen: Zeiten, in denen das Leben bricht, Sicherheiten wanken, und man sich fragt, ob man überhaupt noch zählt.
Für kirchenkritische Menschen ist vielleicht der Gedanke an einen „Gott“ fern. Aber die Botschaft hinter diesem Satz ist universell: Du bist nicht aus dem Blick geraten. Du bist nicht egal. Du bist gesehen. Denn Gott vergisst dich nicht.
Das Bild der Mutterliebe hat Kraft, weil es ein Inbegriff bedingungsloser Annahme ist. Und Jesaja sagt: Selbst wenn diese stärkste aller Bindungen reißen sollte – das Versprechen bleibt: „Ich (dein Gott) will deiner nicht vergessen.“
Was könnte das jenseits religiöser Sprache bedeuten?
Es bedeutet: Es gibt etwas in diesem Leben – oder vielleicht über dieses Leben hinaus –, das dich hält. Das dir deinen Wert nicht abspricht, selbst wenn du versagst, zweifelst oder dich selbst nicht mehr spürst.
Es bedeutet auch: Dein Leben hat Bedeutung, auch wenn du es im Moment nicht fühlst. Du bist Teil eines größeren Zusammenhangs, ob du ihn nun Gott nennst, Liebe, Schicksal oder das Geheimnis des Lebens.
Jesaja spricht hier nicht von Menschen, die alles im Griff haben. Sondern zu einem Volk, das zerstreut, verwundet und voller Fragen ist. Genau da hinein spricht dieser Vers Trost. Und genau da kann er auch heute wirken: Wo Menschen Halt suchen, aber keine einfachen Antworten bekommen.
Diese Zusage ist keine romantische Floskel. Sie ist ein Versprechen gegen das Vergessen. Eine Erinnerung: Du bist nicht allein unterwegs. Dein Name ist nicht verloren. Dein Leben zählt.
Für viele Menschen ist das vielleicht die tiefste Sehnsucht: Nicht nur zu existieren, sondern auch bedeutsam zu sein. In diesem Vers klingt genau das an; ohne Bedingungen, ohne Leistung. Einfach nur so. Denn eins ist immer sicher: Gott vergisst dich nicht – niemals.