
„Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“
(Matthäus 6,13)
„Führe uns nicht in Versuchung“ – eine Zeile, die Fragen aufwirft
Kaum ein Satz aus dem Vaterunser sorgt so oft für Stirnrunzeln wie dieser: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Viele fragen sich: Warum sollten wir Gott darum bitten, dass er uns nicht selbst in Versuchung führt? Was ist das für ein Vater, der seine Kinder in Gefahr bringt?
Gerade Menschen, die mit Kirche oder Glauben weniger vertraut sind, empfinden diesen Satz oft als Widerspruch. Ein liebender Gott, der uns ins Straucheln führt? Das klingt verstörend. Doch dieser Gedanke beruht meist auf einem Missverständnis – das sich aufklären lässt.
Was bedeutet „Führe uns nicht in Versuchung“ im Vaterunser?
Das Vaterunser wurde ursprünglich auf Griechisch überliefert. Dort steht das Wort peirasmos. Es wird oft mit „Versuchung“ übersetzt, kann aber auch „Prüfung“ oder „schwere Lage“ heißen. Der Satz bedeutet also nicht: Gott, bring uns nicht in Versuchung, sondern eher: Gott, hilf uns, dass wir schwierige Situationen bestehen – ohne unterzugehen.
Die Bitte ist eine Form der Demut. Sie sagt: Ich bin nicht immer stark. Ich brauche Hilfe. Ich weiß, dass ich straucheln könnte – und ich vertraue darauf, dass du mich hältst.
Will Gott uns wirklich prüfen oder straucheln sehen?
Die klare Antwort der Bibel lautet: Nein. Gott ist kein strenger Prüfer, der uns in Versuchungen lockt, um zu sehen, ob wir scheitern. Ein guter Vater möchte seine Kinder nicht scheitern sehen – er möchte sie begleiten und stärken.
Der Satz im Vaterunser ist also keine Warnung vor einem launischen Gott, sondern eine Bitte um Beistand. Sie macht deutlich: Auch der stärkste Mensch kommt an seine Grenzen. Auch der Glaubende ist manchmal schwach. Aber Gott ist da – nicht als Richter, sondern als Helfer.
Was wir mit dieser Bitte eigentlich sagen
Wenn wir beten: „Führe uns nicht in Versuchung“, dann bitten wir Gott:
Gib mir die Kraft, das Richtige zu tun.
Hilf mir, wenn ich schwach werde.
Bewahre mich davor, mich selbst zu verlieren.
Es geht darum, Gott als Schutzschild zu sehen – nicht als Verführer. Es ist ein Gebet um Kraft, nicht um ein Entkommen vor allen Herausforderungen.
Wie wir den Satz heute verstehen können
Viele moderne Ausleger schlagen vor, den Satz anders zu formulieren. Papst Franziskus etwa regte an, zu beten: „Lass uns nicht in Versuchung geraten.“
Das bringt den Sinn auf den Punkt: Wir bitten Gott, uns nicht allein zu lassen, wenn es schwer wird. Und wir vertrauen darauf, dass er uns stärkt, wenn wir ins Wanken geraten.
Dieser Gedanke kann auch Menschen helfen, die nicht (oder nicht mehr) kirchlich verbunden sind. Denn wer wünscht sich nicht, in schwierigen Momenten nicht allein zu sein?
So wird aus einer vermeintlich verstörenden Bitte ein Satz, der trägt:
„Gott, halte mich. Hilf mir, dass ich das Leben gut bestehe.“