Herr Dr. Christoph Ammann ist reformierter Pfarrer in Zürich Witikon und Präsident des schweizerischen Arbeitskreises Kirche und Tiere (AKUT). Bei diesem Arbeitskreis handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der sich für die Interessen der Tiere als unsere Mitgeschöpfe einsetzt. Ich freue mich, dass Herr Dr. Ammann sich für die Beantwortung der folgenden Fragen bereit gefunden hat.
Herr Dr. Ammann, ein Ziel Ihres Arbeitskreises ist es, die Menschen für das Unrecht, das den Tieren angetan wird, zu sensibilisieren und Impulse für ein achtsameres und mitfühlenderes Miteinander zu geben. Nun hat aber Jesus selbst Fisch (Lukas 24,42-43) und Lamm (Lukas 22,8-15) gegessen, wie wir in der Bibel nachlesen können. Außerdem vermehrte Jesus in der Speisung der Fünftausend eigenhändig Fisch und Brot (Matthäus 14,17-21) und es gab im Alten Testament kein Gesetz, das das Fleischessen verbot. Warum sollten sich Menschen und vor allem Christen Ihrer Ansicht nach dennoch vegetarisch ernähren?
Dr. Christoph Ammann: Für mich ist klar, dass eine christliche Ethik nicht konkretistisch darin bestehen kann, einfach das zu tun, was Jesus getan hat. Der historische Jesus hat sicherlich Fisch und auch Fleisch gegessen, ohne dass das für ihn eine große Bedeutung hatte. Er war darin ein Kind seiner Zeit. Die Frage ist aber, ob es für uns angesichts von industrieller Tierhaltung und menschengemachtem Klimawandel noch legitim sein kann, Fleisch zu essen. Unzweifelhaft ist, dass wir viel weniger Fleisch essen sollten.
Wenn ich auf den aktuellen Speiseplan des Maternushauses, dem Tagungszentrum des Erzbistums Köln, schaue, dann lese ich dort unter anderem von knusprigen Speckstreifen und gegrillter Pute mit BBQ-Sauce. Warum hat der Tierschutz in der Kirche keine Lobby?
Dr. Christoph Ammann: Das ist eine Frage, die ich mir selbst fast täglich stelle. Ich glaube, das ist die negative Kehrseite der besonderen Hochschätzung des Menschen, wie wir sie im Christentum finden. Viele Menschen in der Kirche denken, dass dem Menschen etwas genommen wird, wenn auch Tiere als Wesen mit einer eigenen Würde und als schutzwürdig angesehen werden. Ich leide selbst darunter, dass der Tierschutz auch bei vielen fortschrittlich gesinnten Menschen in den Kirchen einfach kein Thema ist.
Sie schreiben auf Ihrer Website, dass Sie aktiv den Dialog mit Entscheidungs- und Amtsträgern in den Kirchen mit dem Ziel suchen, das Paradigma der Nächstenliebe durch konkrete Handlungsempfehlungen auf Tiere auszuweiten und vorzuleben. Das klingt für mich – wie man salopp sagt – nach dicken Brettern bohren. Was hat der Verein AKUT aus Ihrer Sicht in den fast 35 Jahren seiner Tätigkeit erreicht?
Dr. Christoph Ammann: Ich denke, AKUT kann etwas zur Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung beitragen, mehr aber auch nicht. In letzter Zeit spüre ich auch in den Kirchen eine größere Sensibilität für die ethischen Aspekte unseres Umgangs mit Tieren. Die Klimathematik hat da viel dazu beitragen, weil nun mit der zunehmenden Einsicht, dass wir unser Leben ändern müssen, auch der Fleischkonsum aufs Tapet kommt.
Ich hoffe, wir tragen ein kleines Bisschen dazu bei, den Tieren eine Stimme zu geben.
Aber wie viel die Arbeit von AKUT dazu beigetragen hat, wage ich nicht einzuschätzen. Ich hoffe, wir tragen ein kleines Bisschen dazu bei, den Tieren eine Stimme zu geben. Aber allzu oft fühle ich mich auch machtlos und zweifle daran, wie viel wir wirklich bewirken können. Es braucht jedenfalls viel Ausdauer, Geduld und Frustrationstoleranz.
Meine Frau und ich sind in unserer Pfarrgemeinde in verschiedenen Gruppen aktiv und erleben immer wieder, dass wir als Vegetarier quasi “unsichtbar” sind. So gibt es bei Gemeindeveranstaltungen regelmäßig Eintöpfe mit Fleischeinlage. Wenn wir uns dann stattdessen an den dazu gereichten trockenen Brötchen “festhalten”, müssen wir uns erklären bzw. entschuldigen, dass wir nicht mitessen. Was meinen Sie: Müsste man nicht eigentlich zwischen Christsein und Vegetariersein ein Gleichheitszeichen setzen?
Dr. Christoph Ammann: Für mich war und ist es intuitiv ganz klar, dass die christliche Existenz vom Geist her näher bei einer vegetarischen oder veganen Ernährung liegt. Das hat in meinem Fall auch viel damit zu tun, dass ich die Einstellung der Gewaltfreiheit, wie ich sie etwa durch Mohandas Karamchand Gandhi oder Martin Luther King kennengelernt habe, auch im Hinblick auf unsere tierischen Mitgeschöpfe für relevant halte. Das ist mir in letzter Zeit erst so richtig klar geworden.
Tiere sind in unserer Gesellschaft auch „die Armen“, Entrechtete, an den Rand Gedrängte.
Wenn die Liebe tatsächlich die zentrale Haltung eines Christenmenschen ist oder sein soll, dann können wir diese nicht nur auf andere Menschen beschränken. Vielmehr werden wir dann auch für das Leiden unserer tierischen Mitgeschöpfe sensibel. Tiere sind in unserer Gesellschaft auch „die Armen“, Entrechtete, an den Rand Gedrängte. Ich würde mir wünschen, dass die „Option für die Armen“!, wie sie vielen Christinnen und Christen hierzulande wichtig ist, auch auf Tiere bezogen würde. Würde man das tun, könnten man nicht mehr ganz selbstverständlich Fleisch servieren bei kirchlichen Festen. Davon bin ich überzeugt.
Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”
Dr. Christoph Ammann: Gebet ist für mich der Versuch, mit Gott in Kontakt zu treten und in Verbindung zu sein. Für mich ist das Zentrale am Gebet eigentlich nicht das eigene Sprechen, sondern das aktive Hören auf Gott. Das ist doch eigentlich sowieso das Entscheidende im Christentum: Versuchen, den Willen Gottes zu vernehmen und zu tun.
Ich danke für das Gespräch.