Clemens Ronnefeldt: Ein Leben für den Frieden

Clemens Ronnefeldt

Clemens Ronnefeldt, Jg. 1960, Diplom-Theologe mit Zusatzausbildungen in Friedensarbeit und Systemischer Beratung, ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes. Von 2005 bis 2019 war er Moderator der Internationalen Münchner Friedenskonferenz. Ich freue mich, dass Herr Ronnefeldt sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.

Herr Ronnefeldt, können Sie bitte Ihre Arbeit als Friedensreferent näher erläutern?

Clemens Ronnefeldt: Der Internationale Versöhnungsbund wurde 1914 bei einer Konferenz zur Verhinderung des 1. Weltkrieges in Konstanz gegründet und hat als Ziel, durch aktive Gewaltfreiheit zu mehr Gerechtigkeit und Frieden auf der Welt beizutragen – aktuell mit rund 100 000 Mitgliedern in 40 Staaten und Beraterstatus bei der UNO.

Ich hatte in meinem langen Berufsleben sehr unterschiedliche Phasen und Arbeitsschwerpunkte. Von 1992 bis 2001 engagierte ich mich im ehemaligen Jugoslawien zur Unterstützung Geflüchteter und von Friedensgruppen. Ich verbrachte insgesamt etwa neun Monate in Flüchtlingslagern in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und auch in Serbien. In Zusammenarbeit mit den Zivildienst-Seelsorgestellen der Diözesen Mainz, Trier, Limburg und Speyer bereitete ich ab 1994 im Sommer zusammen mit meinem Kollegen Alois Bauer, Friedensreferent im Bistum Mainz, Zivildienstleistende auf Freiwilligeneinsätze in den genannten drei Ländern vor. 

Wir gestalteten Programme wie Sprachkurse für Deutsch und Englisch, Lagerolympiaden, Zirkus-Vorstellungen, Spiele ohne Grenzen, Fußball-, oder Basketballturniere, Mal- und Bastelkurse, unterstützten Geflüchtete bei ärztlichen Attesten als Vorbedingung zur Aufnahme in anderen Ländern und brachten Wollreste in die Lager. Aus diesen fertigten die geflüchteten Frauen Hüttenschuhe an, die wir ihnen dann abkauften und in Deutschland auf Basaren verkauften. So hatten diese Frauen ein kleines Einkommen. 

Durch unseren Einsatz veränderte sich nicht nur das Leben der Kinder und Jugendlichen, die deutlich an Lebensfreude gewannen; auch viele Eltern wurden aktiv und bauten an Kulissen für Theater- oder Zirkusvorstellungen mit. Dank vieler Geldspenden konnten wir Obst kaufen und dieses zusätzlich zur vitaminarmen Essensausgabe in den Großküchen für ca. jeweils 400 bis 500 Personen, die in den Lagern lebten, verteilen.

Nachdem die Lager nach und nach aufgelöst wurden und der Zivildienst in Deutschland auslief, wurde der Nahe und Mittlere Osten mein neuer Arbeitsschwerpunkt. Von 2002 an nahm ich an zahlreichen Friedensdelegationen im Rahmen des Internationalen Versöhnungsbundes mit Kolleginnen und Kollegen anderer Länder teil, ebenso auch mit pax christi oder IPNNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War), die mich nach Israel, Palästina, Ägypten, Libanon, Türkei, Syrien, Jordanien und Iran führten.

Dort besuchten wir Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, sprachen mit Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaften und der Politik, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Über diese Reisen berichte ich seit mehr als zwei Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum in Kirchengemeinden, Friedensgruppen, Volkshochschulen, Akademien und Universitäten. 

Von 2005 bis 2019 war ich Moderator der Internationalen Münchner Friedenskonferenz, die jedes Jahr parallel zur Sicherheitskonferenz Alternativen im Bereich ziviler Konfliktlösungen vorstellt. Gäste waren u.a. der im Frühjahr 2024 verstorbene Friedensforscher Prof. Johan Galtung, der ehemalige Außenminister und Botschafter in Deutschland, Dr. Bernd Niehaus Quesada aus Costa Rica, einem Land ohne Militär seit dem 2. Weltkrieg, oder die ehemalige Kulturministerin aus Mali, Dr. Aminata Traore

Seit Februar 2022 halte ich sehr viele Vorträge zum Ukraine-Krieg, nehme an Podiums-Diskussionen teil, gebe Interviews und schreibe Artikel mit dem Ziel eines Waffenstillstandes und der Beendigung des Leidens der Kriegsopfer. Eine ukrainische Kollegin, die ich seit 20 Jahren kenne, unterstütze ich in der Ukraine durch Geldspenden für Trauma-Seminare, die von einem Traumatherapeuten-Ehepaar durchgeführt werden.

Die Botschaft „Du sollt nicht töten“ ist für mich Richtschnur meines Handelns geworden.

Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit gekommen?

Clemens Ronnefeldt: Meine Sozialisation erfolgte in der katholischen Jugendarbeit in Osthofen, einer Kleinstadt in Rheinhessen. Zwei evangelische friedensbewegte Pfarrer, die schon ab 1980 Friedenswochen durchführten, bereiteten mich auf meine Kriegsdienstverweigerung vor. Als Organist meiner Kirchengemeinde – ich spiele seit meinem 13. Lebensjahr Orgel – hörte ich immer wieder die biblischen Botschaften: „Du sollt nicht töten“, „Liebet eure Feinde“, „Tut Gutes denen, die euch hassen“. Diese Botschaften und ihre Umsetzung sind für mich Richtschnur meines Handels geworden. Ich halte sie für die „Medizin“, die unsere Welt dringend braucht, damit es gut mit der Menschheit weiter geht.

Nach dem Zivildienst habe ich Theologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz bis zum Vordiplom und dann bis zum Diplom an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Jesuiten in Frankfurt studiert. Meine Diplomarbeit schrieb ich über das Thema Hoffnung. 

Die Suche nach Gerechtigkeit und Frieden aus dem Glauben heraus treibt mich seither an. Kaum war ich mit dem Studium 1986 fertig, wurde ich zum Diözesanvorsitzenden von pax christi, der internationalen katholischen Friedensbewegung, im Bistum Mainz gewählt. 

Im Jahr 1990 überfiel Saddam Hussein Kuweit – und ich rief zusammen mit Freundinnen und Freunden die „Initiative Frieden am Golf“ ins Leben. Ich war Teilnehmer einer ersten Delegation Mitte November 1990 nach Bagdad, wo wir mit dem Bischof der chaldäischen Kirche sprachen und Medikamente ins Sankt Raphael-Hospital nach Bagdad brachten. 

Eine Krankenschwester sagte uns: „Euer Besuch ist für uns wie frischer Tau in der Wüste.“ Eine Marktfrau in Bagdad bedankte sich für unsere Friedensmission und schenkte uns Obst und Gemüse, das wir bei ihr kaufen wollten.

Am 1. Dezember 1990 kehrte ich nach Deutschland zurück und berichtete in unzähligen Veranstaltungen von meinen Eindrücken. Dadurch wurde der deutsche Zweig des internationalen Versöhnungsbundes auf mich aufmerksam, ich bewarb mich – und bekam die Arbeitsstelle als Referent für Friedensfragen.

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Wie sieht für Sie eine erfolgreiche Friedensmission aus? Könnten Sie ein Beispiel aus Ihrer eigenen Arbeit, zum Beispiel im Rahmen Ihrer Teilnahme an Friedensdelegationen nennen?

Clemens Ronnefeldt: Auf meinen Reisen seit 2002 in den Nahen und Mittleren Osten habe ich sehr viele Kontakte geknüpft zu Menschen, die für mich Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträger sind, weil sie sich gegen Gewalt und für Verständigung einsetzen. Einige von ihnen konnte ich zusammenführen und in Kontakt bringen, sodass neue Kooperationen entstanden.

Im Jahre 2011 moderierte ich zusammen mit einem Kollegen eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten, an der 30 Personen aus neun Staaten der Region Naher und Mittlerer Osten teilnahmen. Nach vier Tagen bildeten wir länderübergreifende Querschnittsgruppen zu den Themen Interreligiöser Dialog, Friedenserziehung, Wasser und erneuerbare Energien. 

Bei dieser Konferenz arbeiteten Menschen aus der Türkei und Syrien ihre Vorurteile ab, Menschen aus Israel und Iran überlegten gemeinsam, wie eine Regionalzone aussehen könnte, die frei von Massenvernichtungswaffen ist. 

Die Suche nach Gerechtigkeit und Frieden aus dem Glauben heraus treibt mich an.

Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine halten Sie auch Vorträge, in denen Sie Friedenskräfte, Wege zur Deeskalation und zu einem Waffenstillstand beschreiben. Welche Hoffnung haben Sie, dass in absehbarer Zukunft Frieden in der Ukraine einkehren wird?

Clemens Ronnefeldt: Bis wirklich „Frieden“ in der Ukraine im umfassenden Sinne des Wortes einkehren wird, wird es noch sehr lange dauern. Selbst wenn alle Gebäude wieder aufgebaut, alle Stromleitungen repariert und keine äußeren Schäden mehr zu sehen sein werden: Die seelischen Wunden aufgrund der angerichteten Traumata werden die Menschen, die von diesem Krieg betroffen sind, noch über Jahrzehnte und Generationen hinweg spüren.

Stiftsgebäude der Basilika St. Margareta in Düsseldorf-Gerresheim
Foto: Achim Beiermann

Aktuell sehe ich die Chance, dass in der Schweiz im Juni 2024 eine Konferenz zustande kommt, die noch in diesem Jahr zu einem Waffenstillstand führen kann.

Das Schweizer Außenministerium hat dazu eingeladen und schreibt auf seiner Homepage

Die Voraussetzungen, damit die Konferenz einen Friedenprozess anstoßen kann, sind in genügendem Maße gegeben.

In einem ersten Schritt soll ein gemeinsames Verständnis der teilnehmenden Staaten entwickelt werden, im Hinblick auf einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine. Die Konferenz wird voraussichtlich im Juni 2024 auf dem Bürgenstock durchgeführt. 

Bundespräsidentin Viola Amherd empfing im Januar 2024 den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Gesprächen in Bern. Sie sicherte Präsident Selenskyj damals die Unterstützung zu, eine hochrangige Friedenskonferenz in der Schweiz zu organisieren. Der Bund hat seither in direkten Kontakten mit zahlreichen Staaten die Möglichkeiten und die Wege eines Friedenprozesses geprüft. 

Während der ersten exploratorischen Phase führte die Schweiz Gespräche mit Mitgliedern der G7-Staaten, mit der EU wie auch mit Vertretern des Globalen Südens wie China, Indien, Südafrika, Brasilien, Äthiopien und Saudi-Arabien. An seiner heutigen Sitzung hat der Bundesrat von den bisherigen Ergebnissen Kenntnis genommen und die nächsten Schritte diskutiert. Eine hochrangige Konferenz als Start eines solchen Prozesses findet derzeit international genügend Zustimmung: Diese wird somit im Juni 2024 auf dem Bürgenstock geplant, auf Einladung von Bundespräsidentin Viola Amherd. (…) 

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass es bis Juni noch einige Unbekannte gibt, sieht es aber aufgrund der langen diplomatischen Tradition der Schweiz sowie der ermutigenden Rückmeldungen während der exploratorischen Phase als seine Verantwortung an, einen Beitrag zum Friedensprozess in der Ukraine zu leisten. Damit ist die exploratorische Phase beendet und die Umsetzungsphase gestartet.

Diese Konferenz gilt es nun zu unterstützen. Aktuell gibt es noch einen wichtigen Dissenz: Die Mehrheit der westlichen Staaten möchte zunächst auf einer ersten Konferenz ohne eine Vertretung Russlands konferieren und eine diplomatische Mission Moskaus erst auf einer zweiten Konferenz an einem anderen Ort dazu einladen. 

Unterstützer Russlands und auch einige Länder des sogenannten „globalen Südens“ würden es begrüßen, wenn Russland bereits bei dieser ersten Konferenz teilnehmen würde. Der „globale Süden“ leidet durch gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise ungleich mehr unter den Folgen des Ukraine-Krieges, hat einen höheren Leidensdruck – und drängt daher auf einen baldigen Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland.

Als Zivilgesellschaft können wir durch Briefe an unsere Regierung diese bitten, die Konferenz zu unterstützen und Russland bereits bei der ersten Konferenz einzuladen.

(Redaktionelle Anmerkung: Das als Friedenskonferenz bezeichnete Treffen fand am 15. und 16. Juni 2024 ohne Russland auf dem Bürgenstock in der Schweiz statt. Zum Ergebnis des Treffens schreibt der Deutschlandfunk unter anderem:

Als großen Erfolg, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt hat, bezeichnet das Treffen in der Ukraine kaum jemand. Mehr als ein Minimum sei nicht drin gewesen, sagen unabhängige Beobachter. 

Insgesamt kann die Konferenz auf dem Bürgenstock als ein erster Schritt Richtung Frieden bewertet werden – wenn auch nur als einen sehr kleinen. Als positiv wird die große Anzahl der teilnehmenden Staaten sowie das Zustandekommen einer Abschlusserklärung angesehen.„)

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich …”

Clemens Ronnefeldt: Gebet ist für mich eine wichtige Quelle für mein Friedenshandeln.

Ich danke für das Gespräch.

(Hinweis zu dem verwendeten Foto von Clemens Ronnefeldt: Die Bildrechte liegen bei Archiv Clemens Ronnefeldt.)

Clemens Ronnefeldt ist Mitautor des Buches „Bedrohter Diskurs: Deutsche Stimmen zum Ukrainekrieg (Schriftenreihe Geschichte & Frieden)“. Erschienen am 4. Januar 2024 im Verlag Donat.

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