
Simone Merkel ist Bibelerzählerin und als solche begeistert sie die Menschen auch abseits des Gottesdienstes für die Heilige Schrift. Ich freue mich, dass Frau Merkel sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.
Frau Merkel, was hat Sie ursprünglich dazu inspiriert, Bibelerzählerin zu werden?
Simone Merkel: Vermutlich gab es nicht den einem Moment der Inspiration. Ich habe bereits als Kind Geschichten geliebt. Als Mutter habe ich den eigenen Kindern Erfundenes und Fantastisches erzählt. In der kirchlichen Arbeit und im Religionsunterricht war es dann die Erfahrung, dass das freie Erzählen biblischer Geschichten sehr viel beziehungsreicher ist, als jede andere Form der Präsentation der alten Texte.
Heute, nachdem ich viele Jahre erzähle, weiß ich, dass mich eine Begegnung in der Kindheit inspiriert hat. Die Frau unseres Pfarrers hat uns Kinder mit ihren Geschichten in den Bann gezogen. Vielleicht hat mich schon zu der Zeit die Faszination gepackt.
Welche Rolle spielt Kreativität beim Erzählen von Bibelgeschichten, und wie entwickeln Sie als Bibelerzählerin neue Ansätze, um die Geschichten lebendig zu gestalten?
Simone Merkel: Meiner Ansicht nach braucht es keine neuen Ansätze, um die Geschichten lebendig zu machen. In den biblischen Geschichten spiegelt sich die ganze Tiefe menschlichen Lebens. Das sind Trauer und Verzweiflung, da sind Liebe und Treue, Glück und tiefe Gottesfurcht. Sara, die an der Kinderlosigkeit fast verzweifelt, Jakob, der sich fürchtet, dem Bruder zu begegnen, Menschen, die etwas wagen, die alles aufgebe, die neu hoffen und lieben lernen.
Die Mündlichkeit erlaubt den Hörerinnen und Hörern die Geschichten mit den eigenen inneren Bildern zu illustrieren. Plötzlich werden bis dahin fremde Figuren zu Protagonisten in der eigenen Welt. Das ist alles. Mehr braucht es nicht.

Gibt es eine Bibelgeschichte, die Sie besonders gern erzählen? Warum ist sie für Sie so bedeutsam?
Simone Merkel: Ich erzähle gerne die Geschichte von der Berufung des Levi. Jesus beruft den Zöllner. Den Evangelisten Markus ist die eigentliche Szene nur zwei Verse wert. Jesus sieht Levi. Er spricht ihn an. Levi folgt. Es macht mir Spaß, mir vorzustellen, was für ein Mensch Levi war. In der Religionspädagogik sind die Zöllner, wie ich finde, auf unzulässige Weise klischeehafte Abzocker geworden. Glücklicherweise ist das Leben vielfältiger und das Menschsein hoch komplex. Für mich ist Levi ein junger kraftvoller lebenshungriger Sucher. Was diesen Menschen zum Folgen bewegt, erzähle ich gerne.
Sie bilden auch regelmäßig interessierte Menschen zum Bibelerzählen aus. Welche Fähigkeiten oder Eigenschaften sollte jemand mitbringen, der an Ihrer Ausbildung teilnehmen möchte?
Simone Merkel: Es ist gut, wenn die Menschen, die an der Ausbildung teilnehmen wollen, Bibelerfahrungen haben. Ein Theologiestudium oder religionspädagogische Ausbildung ist keinesfalls Voraussetzung, aber die Kenntnis von und Neugier auf die biblischen Geschichten ist wichtig. Und dann sollte eine Begeisterung für das Mündliche dabei sein. Das ist alles. Mehr wird nicht gebraucht.
Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich …”
Simone Merkel: Gebet ist für mich die Gewissheit, von Gott gewollt und geliebt zu sein.
Gebet ist für mich das Vertrauen darauf, dass Gott mir ein Gegenüber ist.
Gebet ist für mich die Gelegenheit, unzensiert zu fragen, zu suchen, zu bitten, zu hadern, zu wüten und zu zweifeln.
Gebet ist mich die Möglichkeit, loszulassen und abzugeben.
Gebet ist für mich Dank und Lobgesang.
Vielleicht sollte ich hier nur einen Satz sagen? Aber Gebet ist so viel. Jeden Tag anders. Immer eine gute Möglichkeit, mich wieder zu verankern, falls der Boden schwankt. Vielleicht würde ich im Grunde den Satz jeden Tag auf andere Weise vervollständigen.
Ich danke für das Gespräch.