Auf die Kraft der Gläubigen als Basis der Kirche vertrauen

Prof. Dr. Daniel Bogner

Herr Prof. Dr. Daniel Bogner lehrt theologische Ethik und Moraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg (Schweiz). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Menschenrechte, Rechtsethik und die Frage, welche Bedeutung dem christlichen Glauben in der säkularen zeitgenössischen Kultur unserer Gegenwart zukommt. Ich freue mich, dass Herr Bogner sich die Zeit für dieses Interview genommen hat.

Herr Professor Bogner, Sie sind Autor des Buchs “Ihr macht uns die Kirche kaputt…: … doch wir lassen das nicht zu!” (Herder Verlag). Für Viele sicher ein provozierender Titel; deshalb die Frage: Wen meinen Sie mit “ihr” und wer sind “wir”?

Herr Prof. Dr. Daniel Bogner: Das Gegenüber bezeichnet die unterschiedlichen Perspektiven, die in der Kirche oft aufeinander prallen. Da sind die, die den Standpunkt vertreten, die heute existierende Gestalt der Kirche sei von Anfang an so vorgesehen gewesen und in ihren Grundpfeilern wie Ämterverständnis und Kirchenstruktur deshalb weitgehend unveränderbar. Alle Erneuerung müsse vor allem von einer “veränderten Haltung” ausgehen, dürfe aber nicht strukturell ansetzen.

Immer weniger Menschen finden den Zugang zur Kirche
Foto: Achim Beiermann

Dagegen stehen die, die umgekehrt ansetzen und sich zuerst vom biblisch bezeugten Ruf, Volk Gottes zu werden und in die Nachfolge Jesu zu treten, herausfordern lassen. Sie fragen dann: Wie muss Kirche sein, damit das in unserer Zeit heute überzeugend gelingen kann? Zwischen beiden Perspektiven braucht es dringend besseren Austausch und eine wirkliche Verständigung. Denn Inhalt und Gefäß bedingen sich gegenseitig, sie sind aufeinander angewiesen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Welche Möglichkeiten haben “wir” denn als gläubiges Fußvolk? Welche Chancen müssen “wir” ergreifen, wenn sich innerhalb der Kirche wirklich Grundlegendes verändern soll?

Herr Prof. Dr. Daniel Bogner: Die katholische Kirche hat ihren Verfassungsrahmen in einer Zeit ausgebildet, in der Errungenschaften wie Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und vor allem die freiheitliche Begründung des Staates als Demokratie noch nicht erkämpft worden waren und deshalb als Beispiel und Inspirationsquelle kirchlicher Verfassungsgebung dienen konnten. Die Monarchie war das Vorbild und es gab allenfalls Ansätze einer partizipativen und herrschaftskritischen Regierungsweise wie das, was man “Synodalität” nennt. Verbindlich festgehaltene Mitgestaltungsrechte für das “gläubige Fußvolk” gibt es in solchen vormodernen Ansätzen nicht.

Die katholische Kirche hat ihren Verfassungsrahmen in einer Zeit ausgebildet, in der Errungenschaften wie Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und vor allem die freiheitliche Begründung des Staates als Demokratie noch nicht erkämpft worden waren.

Ich bin aber sicher, dass die Kirche, wenn sie ihre Formen zu einer anderen Zeit ausgebildet hätte, auch von der freiheitlichen Demokratie einiges gelernt und in kluger Weise in ihre eigene Verfassung integriert hätte. Dafür gibt es heute einen riesigen Nachholbedarf, gerade weil sich in demokratischen Verfassungsformen so viele Werte und Grundüberzeugungen wiederfinden, die den tiefsten Impulsen der biblischen Botschaft entsprechen: die Orientierung an der unveräußerlichen Würde jedes und jeder Einzelnen, die kritische Sicht auf ungeteilte Herrschaftsausübung, eine notwendige Beteiligung aller an der Gestaltung des gemeinsamen Lebens.

Gott segnet alle Menschen
Mein Gott segnet alle Menschen
Foto: Achim Beiermann

Genau hierfür braucht es den emphatischen Widerspruch und Einsatz der Kirchenmitglieder. Ich bin überzeugt: Wo die Gläubigen als die Basis der Kirche etwas wirklich deutlich und mit der Überzeugung, die aus dem gelebten Glauben kommt, einfordern, da wird auch eine monarchisch aufgestellte Institution sich dem langfristig nicht verschließen können.

Der Synodale Weg, auf den sich Ende 2019 die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken begeben haben, soll der Aufarbeitung von Fragen dienen, die sich nach der Veröffentlichung der Ergebnisse verschiedener Untersuchungen in einigen deutschen Bistümern über sexuellen Missbrauch in der Kirche ergeben haben. Was ist Ihr Eindruck nach gut zwei Jahren? Gibt es erste Ergebnisse – positiver oder negativer Art, die Sie so nicht erwartet hätten?

Herr Prof. Dr. Daniel Bogner: Es ist viel zu früh für eine umfassende Bewertung. Aber ein paar Punkte fallen auf. Zunächst zum gesamten Projekt: Der “Synodale Weg” ist ja ein Gremium, das es nach existierender Kirchenverfassung eigentlich nicht gibt – es wurde extra ein Statut erfunden, um dieses Projekt zu konstituieren. Daran wird etwas deutlich. Denn es ist ja eigentlich ein Drama, dass man sich in der katholischen Kirche von heute außerhalb des regulär vorhandenen Rechts stellen muss, um über das, was man für wesentlich erachtet, wirklich offen miteinander reden zu können! Dass das aber wiederum geschieht und auch die Anwälte der regulären, kanonischen Rechtsordnung, die Bischöfe, mit zum Teil großen Engagement mitmachen, ist ein großer Erfolg und verdient Beachtung.

Es ist eigentlich ein Drama, dass man sich in der katholischen Kirche von heute außerhalb des regulär vorhandenen Rechts stellen muss, um über das, was man für wesentlich erachtet, wirklich offen miteinander reden zu können!

Dann ist zu sehen, dass bereits einige weitreichende Beschlüsse gefasst oder zumindest schon als Beschlussvorlage diskutiert wurden, so zur Kirchenleitung, zur Auffassung der Kirche über Sexualität, zum Ämterzugang. Das geht weiter, als viele lange erwartet hatten. Aber es bleibt offen, welche Kreise solche Debatten ziehen und welche Folgen sie haben: Bleibt es bei eindrucksvollen Diskussionen und Beschlüssen, mit denen die Weltkirche zum Nachdenken aufgefordert wird, aber nach einigen Jahren und Neubesetzungen so mancher Bischofsstühle gerät der Geist solcher Aufbrüche wieder in Vergessenheit?

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Die Gefahr besteht real, weil dieser Synodale Weg eben keine rechtssetzende Gewalt hat, sondern angewiesen ist, dass seine Impulse aufgegriffen und in der verbindlichen Sprache des kanonischen Rechts irgendwann umgesetzt werden.

Als zweites Thema, das Ihnen – so viel ich weiß – ebenfalls am Herzen liegt – möchte ich die Fraueninitiative Maria 2.0 ansprechen: Glauben Sie, dass in diesem Jahrhundert die erste Frau die katholische Priesterweihe empfängt?

Herr Prof. Dr. Daniel Bogner: In diesem Jahrhundert? Da bin ich doch zuversichtlich. Denn immer mehr wird deutlich, wie wenig plausibel die traditionelle Begründung dafür ist, Frauen vom Zugang zum geweihten Amt auszuschließen. Jesus war ein Mann, ja, das ist richtig. Aber muss man diesen Menschen Jesus zwingend über sein biologisches Geschlecht repräsentieren? Und genau daran die Fähigkeit festmachen, von der Heilszusage Zeugnis zu geben, die Gott damit macht, dass er Mensch wird? Dass die Kirche einen Fehler macht, wenn sie Sprach- und Denkverbote ausspricht und damit eigentlich gegen ihre Selbstverpflichtung zu theologischer Rechenschaft ihrer Verkündigung verstößt, kommt hinzu. Und wir stellen fest, dass auch Bischöfe heute sagen, sie können sich Frauen im geweihten Amt vorstellen.

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Foto: Imma Beiermann

Aber ich sehe auch, dass sich das Verständnis des Amtes und die Amtspraxis sich ändern werden. Frauen werden nicht einfach “an der Stelle der bisherigen Männer” Priesterinnen sein. Die Kirche muss sich klarmachen, dass damit auch das Amt weiterentwickelt wird. Wohin? Das wird etwas Neues sein – weder eine bisherige katholische Männerkirche mit ein paar Frauen in der Stola, und auch nicht eine weitere “protestantische Kirche”, wie manche meinen. Die typisch katholische Religionskultur und die dem Katholizismus eigene Mentalität sind die Spuren, in denen sich eine solche katholische Kirche, die sich der Geschlechtergerechtigkeit öffnet, weiterentwickeln wird. Gott sei Dank. Denn die religiöse Kultur ist die Sprache und das Vokabular für gläubige Praxis. Ohne dieses Erbe mit seinen Spuren blieben wir stumm. Wir brauchen diese Sprache und das ist auch der Grund, weshalb man nicht so einfach seine konfessionelle Identität aufgeben kann wie den Mantel an der Garderobe.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Herr Prof. Dr. Daniel Bogner: Gebet ist für mich eine Möglichkeit, ich zu bleiben, wenn eigentlich alles dagegen spricht. Ängste, Druck, Erwartungen, denen ich nicht gerecht werden kann, eine Welt, deren Mächte so viel stärker scheinen als das, was mir zur Verfügung steht. Zu Beten hilft mir zu spüren: Nichts, aber auch nichts von dem, was ich in die Waagschale zu werfen habe, ist vergebens.

Ich danke für das Gespräch.

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