Auch Wut und Angst kann man Gott ans Herz legen

Pfarrer Dr. Ansgar Steinke

Herr Dr. Ansgar Steinke ist katholischer Pfarrer und leitet den Kirchengemeindeverband Flingern/Düsseltal in Düsseldorf, zu dem etwa 15.000 Katholiken zählen. Ich freue mich, dass ich ihm die folgenden Fragen stellen durfte:

Herr Pfarrer Dr. Steinke, an wen sollte ich mich im Gebet wenden? An Gott, als unser aller Vater, oder an seinen Sohn Jesus Christus? Oder an den Heiligen Geist? Darf ich auch Engel oder Heilige anrufen?

Herr Pfarrer Dr. Steinke: Da bin ich ganz unbefangen: An wen Sie wollen. Alles hat seine Zeit und seine Gelegenheit. Ich selbst bete zum Beispiel im Gottesdienst meist zu Gott, dem Vater und fühle mich dabei – durch den Heiligen Geist – mit Jesus als Kind Gottes. Wenn ich persönlich bete, suche ich oft die Verbindung zu Jesus, den ich als menschlich nahe und ansprechbar erlebe. Und zu Heiligen bete ich hier und da auch, weil ich glaube, dass alle unsere Toten und ganz sicher die Heiligen, bei Gott leben und daher für uns gegenwärtig und erreichbar sind. Kontakt ist in gewissem Sinne also möglich, sie gehören weiter zu unseren Bezugspersonen.

Ist ein Gebet, das gemeinsam in einer größeren Gemeinschaft gesprochen wird, wirkungsvoller als das Gebet eines Einzelnen?

Beterin vor Gott
Beten kann man allein oder in Gemeinschaft
Foto: Pixabay

Herr Pfarrer Dr. Steinke: Was bedeutet „wirkungsvoll“ beim Beten? Man kann es wahrscheinlich mit der menschlichen Kommunikation vergleichen.

Es gibt Treffen mit mehreren Menschen und dabei entsteht so etwas wie ein gemeinsames Gespräch, das sich streckenweise vielleicht besonders um eine bestimmte Person konzentriert. Es entstehen Gesprächsthemen, Inhalte, und es gibt so etwas wie Atmosphäre, eine besondere Stimmung. Auf der anderen Seite gibt es persönliche Gespräche unter vier Augen mit bestimmten Inhalten oder Anliegen, aber ebenso ganz lockere Gespräche, die von Phasen des Schweigens durchzogen sind oder einfach ein Beisammensein, um eine schöne Zeit miteinander zu verbringen, die unsere Beziehung erhält, das Vertrauen stärkt und einfach gut tut. All das und noch viel mehr gibt es auch beim Beten. Das kann man nicht gegeneinander aufwiegen.

Ich selbst bete sowohl in Gemeinschaft, im Gottesdienst, und das trägt und fördert die Intensität des Sprechens mit Gott wie des Hörens auf Gott. Aber ich bete auch alleine und dabei nicht selten ohne Worte und Anliegen, eher still meditierend, einfach um die Nähe Gottes zu suchen und bei ihm zu sein.

Es gibt im Leben viele Situationen, die Menschen wütend werden lassen. Darf ich diese Wut auch im Gebet mit Gott herausschreien?

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Herr Pfarrer Dr. Steinke: Unbedingt. Das lehren uns zum Beispiel die Psalmen, die allein oder zusammen gebetet wurden und werden. Da findet man nun wirklich jede Gefühlslage, völlig ohne fromme oder harmonisierende Zensur. Die Psalmen ermutigen geradezu, alles, auch unangenehme, nicht schon gefilterte Emotionen Gott gegenüber auszudrücken und ihm ans Herz zu legen: Trauer, Wut, Hass, Zweifel, Angst, Frustration – ebenso wie Vertrauen, Ehrfurcht, Liebe, gute Wünsche.

Auch Jesus drückt sein tiefes Gefühl der Verlassenheit dem Vater gegenüber aus.

Ich darf hoffen, dass Gott mich nicht nur hört und das verkraftet, sondern sogar verwandelt, was ich aus meiner Tiefe ehrlich herauslasse. Auch Jesus drückt einmal sein tiefes Gefühl der Verlassenheit dem Vater gegenüber aus, auch seine Angst und sogar seine Zweifel. Es ist doch wie unter uns Menschen: Was wäre das für ein Partner, Freund oder Therapeut, wenn ich im Gespräch nicht alles erst einmal, ohne es sofort genau abzuwägen, sagen könnte?

Gab es in Ihrem Leben Momente, in denen Sie an der Kraft des Gebetes zweifelten? Wenn ja, wie haben Sie aus diesem Tal herausgefunden? ​

Zweifelnder Mensch
Zweifel am Gebet und an Gott
Foto: Pixabay

Herr Pfarrer Dr. Steinke: Was ich erlebt habe, ist, dass das Beten in all den Dingen des Alltags, die Kräfte und Zeit absorbieren, schon einmal auf der Strecke bleibt, unkonzentriert ist und dann irgendwie ohne spürbare Wirkung bleibt. Deswegen bin ich froh, dass ich jeden Tag etwas bete und vor allem am Wochenende, in der Vorbereitung der Gottesdienste, fast immer eine ausgiebigere Zeit mit Gott habe. In der meditiere ich beispielsweise das Evangelium und bete still.

Die Regelmäßigkeit, die ich da im Laufe vieler Jahre entwickelt habe, trägt dann auch über Phasen hinweg, in denen mich so viel Anderes beschäftigt, dass dazwischen kaum Zeit und Aufmerksamkeit für ein Gebet bleibt. Außerdem gehe ich seit über zwanzig Jahren jährlich einmal für zehn Tage ins Kloster, um das Beten, den Kontakt zu Christus wieder zu lernen und zu beleben.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich…”

Herr Pfarrer Dr. Steinke: Gebet ist für mich wie ein Treffen mit einer guten Freundin oder einem guten Freund, wie die Nähe zu einer echten Vertrauensperson.

Ich danke für das Gespräch.

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