
Anna hat ihre Weise zu beten. Sie spricht mit Mister Gott. In ihrer Sprache. Wie mit einem Freund. Sie kümmert sich um ihn. Sie betet gerne alleine, aber nicht gerne in der Kirche. Sie erzählt, sie dankt – aber sie bittet nicht. Anna hat ihre Weise zu beten – diese Weise ist für sie richtig, aber sie muss es nicht für mich sein.
Doch bevor ich darauf komme, welche Weisen des Gebetes es so alles gibt, möchte ich vorher noch ein anderes Problem anschauen: Viele Menschen haben nämlich beim Beten etwas gemeinsam. Sie tun es nicht oder kaum. Höchstens mal wenn es absolut nötig ist. Oder halt im Gottesdienst, weil das alle tun.
Warum Menschen heute kaum noch beten
Aber warum ist das so? Wenn ich jemanden frage: Und warum beten Sie nicht – dann kommt häufig einer der drei folgenden Einwände:
Typische Gründe, warum Beten schwerfällt
1. Keine Zeit zum Beten?
Nach einer aktuellen Statistik über das tägliche Zeitbudget der Deutschen verwendet der Durchschnittsbürger 8,5 Stunden für Schlaf, 2 Stunden für Fernsehen, knapp 2 Stunden für die Mahlzeiten, 36 min. für Putzen und Aufräumen, 37 min. für Lesen, 6 min. für Radio/Musik, 21 min. für die Kinder (bei Frauen), 9 min. bei Männern.
Nun ja: 2 Stunden für Fernsehen – aber: „Ich habe keine Zeit zum Beten.“ Zeit hat immer mit Priorität zu tun: Was mir wichtig ist, dafür nehme ich mir Zeit. Offensichtlich ist uns das Beten nicht wichtig genug. Sonst würden wir mehr beten. Statt „Ich habe keine Zeit“ geht es doch eigentlich darum: Ich nehme mir keine Zeit. Das ist das Problem. Wenn ich jedoch für etwas keine Zeit habe, dann muss ich sie mir eben nehmen.

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Warum also beten wir so wenig? Die Antwort klingt vielleicht etwas seltsam: Wir beten so wenig, weil wir so wenig beten. Denn je mehr und je öfter ich bete, desto mehr Erfahrungen mache ich mit dem Beten, desto mehr wachse ich hinein, desto mehr werde ich vertraut damit, desto mehr schätze ich es, desto mehr gehört es zu meinem Alltag, desto mehr wird es ein Teil meines Lebens, desto weniger möchte ich es missen.
Wir beten so wenig, weil wir so wenig beten – regelmäßig beten. Die meisten von uns kennen so einen ganz speziellen Zeitgenossen, der sich nur dann meldet, wenn er etwas von uns braucht, ein- oder zweimal im Jahr, vorzugsweise an einem Samstagabend: Du machst dir gerade den letzten Hemdknopf zu, deine Frau steht schon fertig angezogen in der Tür, ihr wollt gerade ausgehen, da klingelt das Telefon und es meldet sich eine Stimme, die dir irgendwie bekannt vorkommt: ach ja, der …
Nach etwas Süßholzgeraspel kommt der Anrufer dann schnell zur Sache: „Du, wir sind gerade am Bauen, du leihst mir doch sicher deine Kreissäge für das nächste Jahr.“
Später, nach dem Telefonat, sagst du zu deiner Frau: „Es ist einfach schön, wie unsere Beziehung von Mal zu Mal wächst: Jetzt hat er außer unserer Bohrmaschine und dem Hochdruckreiniger auch noch die Kreissäge – das nächste Mal fragt er mich wahrscheinlich nach unserem Auto. Und ich spüre, wie unsere Freundschaft dadurch immer intensiver und tiefer wird … dieses Vertrauen berührt mich einfach!“
Das alles sagst du – sicher nicht!
Sondern du denkst: Es wird doch langsam Zeit für eine Geheimnummer! Auf diese Beziehung könnte ich gut verzichten. So was von einseitig: Da kann nichts wachsen, da gibt’s keine Kontinuität, kein wirkliches Interesse, keinen echten Austausch, kein Anteilgeben und Anteilnehmen, keine gemeinsame Geschichte, die uns verbindet – schade!
Menschen, die sich nur dann bei Gott melden, wenn sie etwas brauchen oder wenn es ihnen gerade passt, bekommen oft ihre ›Kreissäge‹: Sie werden sich mit ihrem Glauben auch irgendwie über Wasser halten, aber sie werden keine guten Schwimmer werden und schon gar nicht werden sie übers Wasser gehen! Denn es kann keine tiefe Beziehung entstehen, wenn der Kontakt nur spärlich ist.
Darum ist es besser regelmäßig zu beten! Täglich – lieber kurz, aber dafür regelmäßig! „Betet unablässig!“ (1 Thess 5,17) heißt es in der Bibel. Betet pausenlos! Über ein regelmäßiges Gebet komme ich in diese innere Haltung hinein, dass ›es in mir betet‹.
2. Wie lernt man richtig zu beten?
Schon die Jünger haben zu Jesus gesagt: „Meister, wir sehen zwar, du bist ständig am Beten, aber wir wissen nicht, wie geht das eigentlich? Herr, lehre uns beten!“ (Lk 11,1). Und Jesus gab ihnen das Vaterunser, und seine Jünger sagten: „Okay, jetzt haben wir für die nächsten 2000 Jahre genug zu lernen!“ Das Vaterunser geht immer.

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Außerdem ist es nicht so wichtig, dass man es „richtig“ macht. Was ist denn das für ein Gottesbild, wenn ich nicht bete, um da nichts falsch zu machen. Gott versteht schon richtig. Selbst wenn ich die Wörter nur stammele, selbst wenn ich nur verworrene Gedanken im Gebet vor ihn bringe – selbst wenn ich gar nichts mehr sagen kann.
Auch beim Beten gilt freilich: Übung macht den Meister. Beten lässt sich lernen. Ich kann mein Beten auch immer weiter entfalten. So wie ich damit meine Beziehung zu Gott entfalten kann. Es gibt Hilfsmittel, es gibt Kurse, es gibt Möglichkeiten zur Anleitung.
Nachher haben Sie auch Gelegenheit, eine Gebetsform näher kennenzulernen.
3. Bringt Beten überhaupt etwas?
Ich denke bei diesem Einwand immer an die Bahnhofsuhr: Immer wenn der Sekundenzeiger eine Umdrehung absolviert hat, bleibt er für einen Augenblick auf der Zwölf stehen. Er wartet auf das Funksignal, um wieder in den richtigen Takt zu kommen. Genau das heißt Beten: eine Pause einlegen, um wieder neu in den Rhythmus zu kommen. Aussetzen, um im richtigen Takt wieder einzusetzen.
Und dann ist das Gebet natürlich meine Verbindung mit Gott. Hier rede ich mit ihm. Hier kann ich alles aussprechen, was ich sonst vielleicht niemandem sagen möchte. Hier kann ich ganz ich selbst sein, ohne mich verstellen zu müssen, ohne gut aussehen zu müssen – denn das würde ja eh nichts bringen, Gott schaut hinter jede Fassade.
Warum regelmäßiges Beten das Leben verändert
Nachdem die drei Einwände nun genauer untersucht wurden, noch einmal die Frage: Warum beten wir so wenig?
Vielleicht ist es Bequemlichkeit, Gedankenlosigkeit, Gefangensein im Alltagstrott und Trubel – aber ganz sicher braucht es nicht mehr als etwas Selbstdisziplin, das reicht zumindest für die ersten Schritte.
Wie du Gebet einfach in deinen Alltag einbauen kannst
Wenn ich nun soweit bin zu sagen: Ich möchte beten. Dann kann ja immer noch die Frage kommen nach dem wann und wo und wie.
In der ersten Schulklasse bespreche ich immer einen Tagesablauf, in den an allen möglichen Stellen Gebete eingefügt sind. Die Schüler lernen schnell: Beten kann ich immer, zu jeder Tageszeit. Außer beim Schlafen – da geht es nicht.
Beten zu jeder Tageszeit – so geht es
Und wo? Mit Konfirmanden habe ich einmal einige Aussagen zum Thema Gebet auf ihre Zustimmung überprüft. Bei der Aussage „Beten kann ich überall“ sagten fast alle Konfirmanden: Ja, das stimmt. Nur eine wollte die Toilette ausschließen – aber warum sollte ich dort nicht auch beten?
An jedem Ort beten – auch ungewöhnliche Orte
Und schließlich die Frage nach dem Wie?
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Allein und gemeinsam. Beide schließen sich nicht aus. Denken Sie an ein Kloster. Dort beten die Mönche jeden Tag mehrfach gemeinsam – aber auch alleine in ihrer Klosterzelle.
Allein oder gemeinsam beten – beide Wege sind gut
Da nun das gemeinsame Beten zum Beispiel im Gottesdienst außer vom Pfarrer selten beeinflussbar ist, möchte ich jetzt auf das Beten schauen, bei dem ich alleine bin – oder besser zu zweit, denn ohne Gott ist das Beten als Reden mit Gott ja sinnlos.
Gebete finden: Wie das Gesangbuch beim Beten hilft
Ich möchte jetzt nicht jede Art zu Beten hier ausführen, nur einige Hinweise geben.
Anfangen möchte ich mit einem Buch, das bei vielen Menschen zu Hause steht: beim evangelischen Gesangbuch.
Ich erinnere mich noch: Am Anfang, als es 1995 neu herauskam, war bei vielen der erste Eindruck: Huch, das ist aber dick. Dahinter steckt ein Konzept. Das Gesangbuch soll nicht nur ein Liederbuch für die Kirche sein, sondern ein Lebensbuch, das ein Christ zu allen möglichen Situationen gebrauchen kann. Unter anderem eben auch – zum Beten.

Neben den Psalmen, die ja auch Gebete sind, finden sich im Gesangbuch von Nummer 806 bis 879 über hundert Gebete, die nach Anlässen sortiert sind. Zu den verschiedenen Tageszeiten, zu den Zeiten im Kirchenjahr, zu besonderen Anlässen im Leben eines Menschen. Gebete für freudige und für traurige Zeiten. Ältere und moderne Gebete. Gebete für Erwachsene und Gebete für Kinder.
Es lohnt sich, diese Gebete zur Hand zu nehmen, wenn mir selbst keine Worte mehr einfallen.
Singen als Form des Gebets – doppelt verbunden mit Gott
Apropos Gesangbuch: Wer singt, betet doppelt, hat Martin Luther gesagt. Viele unserer Kirchenlieder haben auch einen regelrechten Gebetscharakter. Ganz besonders geeignet sind auch die Lieder aus Taizé, meist kurze vertonte Bibelstellen. Sie werden immer wieder gesungen und ich kann mich beim Singen Gott öffnen – und letztlich ist es doch genau das, worum es beim Beten geht.
Beten ohne Worte – auf die innere Haltung kommt es an
Naja, so betrachtet muss ich meinen Mund beim Beten gar nicht aufmachen – denn auch in der Stille kann ich zu Gott beten.
Das Gebet braucht nicht unbedingt Worte.
Anna würde jetzt sagen: Beten kommt von innen – mit den Worten von außen können wir nicht beten.
Wichtiger als die Worte ist also die Einstellung. Mahatma Gandhi hat einmal gesagt:
Es ist besser, in das Gebet ein Herz ohne Worte zu legen, als Worte ohne Herz.
Text mit freundlicher Genehmigung von Andreas Eisenmann, Pfarrer der evang. Kirchengemeinde Legelshurst, Dekanstellvertreter Ortenau-Nord