Anja Niederhauser: „Der Trauer-Knigge“

Anja Niederhauser

Anja Niederhauser ist Pfarrerin, Trauerbegleiterin und Psychologin. Sie arbeitet im eigenen Zürcher Trauerinstitut und begleitet Menschen, die um jemanden oder etwas trauern. Darüber hinaus ist Anja Niederhauser gemeinsam mit Zita Langenstein Autorin des Buchs „Der Trauer-Knigge: Für Trauernde und ihre Begleiter:innen“, ein Ratgeber, der Trauernden und ihren Begleitern Orientierung geben möchte (erschienen am 19.9.2023 bei Weber Verlag AG). 

Ich freue mich, dass Frau Niederhauser sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.

Frau Niederhauser, was hat Sie dazu veranlasst, sich beruflich auf Trauerbegleitung zu spezialisieren und ein eigenes Trauerinstitut zu gründen?

Anja Niederhauser: Ich bin sehr früh Pfarrerin geworden, schon vor zwanzig Jahren. Dabei ist mir immer mehr bewusst geworden, dass ich im Rahmen des Pfarramts keine Kapazität habe, die Menschen in der Trauer so lange zu begleiten, wie das eigentlich adäquat wäre – denn die Trauer ist ja nicht einfach nach einem Jahr vorbei. So kam immer mehr der Wunsch auf, mich ganz auf die Begleitung von Trauernden zu fokussieren. Ziel des Instituts ist es – da braucht es nun noch etwas Zeit – Menschen darin so ganzheitlich wie möglich Unterstützung bieten zu können.

Früher oder später sind wir alle mit dem Tod eines lieben Menschen konfrontiert.

Und: Trauer ist wenig Thema – da wird lieber drüber geschwiegen. Es ist aber so wichtig, darüber zu sprechen: früher oder später sind wir alle mit dem Tod eines lieben Menschen konfrontiert – auch, wenn wir es nicht wahrhaben wollen.

Wie integrieren Sie Ihre Erfahrungen als Pfarrerin, Psychologin und Trauerbegleiterin in Ihren Ansatz? Gibt es einen besonderen Fokus in Ihrer Methodik?

Anja Niederhauser: Der Fokus liegt auf der Integration der Trauer und darin, mit dem Menschen, den man verloren hat (im Rahmen der „Continuing bonds“), eine innere Verbindung wieder aufzubauen oder zu stärken – wenn man das will und das angezeigt ist. Diese innere Verbindung kann psychologisch oder auch spirituell verstanden werden. 

Friedhof
Trauer ist wenig Thema
Foto: Achim Beiermann

Ich denke, dass ich auch Pfarrerin bin, hilft manchmal, gewisse Themen rund um Moral leichter anzusprechen: ich bin nämlich gar kein Fan von pseudomoralischen Vorgaben, wie Trauer „geht“ und was da „erlaubt“ ist: Jeder und jede hat da ihren, seinen ganz eigenen Weg. Diesen miteinander zu finden und zu stärken, sehe ich als eine meiner Hauptaufgaben.

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Kommen wir zu Ihrem Buch. Was war der Auslöser für die Zusammenarbeit mit Zita Langenstein und die Idee, „Der Trauer-Knigge“ zu schreiben?

Anja Niederhauser: Zita kam nach dem Tod Ihres Mannes als Klientin zu mir und wir haben dabei  – unter anderem – viel darüber gesprochen, wie gesellschaftlich mit Trauer umgegangen wird und wie sich das auf einen als trauernde Person auswirkt. So ist die Idee für das Buch entstanden: es geht um das Spannungsfeld zwischen der ganz individuellen Trauer und dem Umgang damit in der Gesellschaft. 

In diesem Knigge geben Sie unter anderem Ratschläge, wie man als Hinterbliebene bzw. als Hinterbliebener mit der Trauer umgehen kann. Haben wir in unserer heutigen Gesellschaft das Trauern verlernt?

Anja Niederhauser: Ich weiß nicht, inwiefern man Trauern lernen oder verlernen kann. Ich glaube, man kann sich dem Trauern widmen oder eben nicht. Es ist wichtig, wirklich zu sagen: ich trauere und dafür nehme ich mir auch Zeit und Raum, denn das ist jetzt grad das Wichtigste in meinem Leben. Der Trauer in gewissen Lebensphasen Priorität einzuräumen, ja, ich glaube, das haben wir verlernt.

Bitte erlauben Sie mir noch eine zusätzliche Ergänzungsfrage: Welche Rolle spielt Spiritualität in der Trauerbewältigung, und wie gehen Sie mit Menschen um, die keine religiöse Orientierung haben?

In meiner Praxis arbeite ich prioritär psychologisch. Spiritualität thematisiere ich mit den KlientInnen nur, wenn dies gewünscht wird. Dabei ist es mir wichtig, Spiritualität als eine Ressource zu integrieren: das heißt, über Transzendenz und Jenseits, über die Liebe und die Dankbarkeit, das was bleibt, nachzudenken. Ja, und vielleicht auch gewissen Lebensthemen gegenüber achtsamer zu sein bzw. zu werden.

Nachdenken über das, was bleibt: Liebe und Dankbarkeit.

Da ich selbst Vertreterin einer sehr kritischen spirituellen/religiösen Haltung bin, spielt es für mich in der Begleitung keine Rolle, ob jemand religiös orientiert ist oder nicht: Da mache ich keine Unterschiede. Außerdem sind die oben erwähnten Ressourcen ja keine genuin religiösen.

Wie würden Sie den folgenden Satz fortsetzen? “Gebet ist für mich …”

Anja Niederhauser: Gebet ist für mich ein bewusstes Sichverbinden mit dem, was hinter und über den Dingen ist und was uns – hoffentlich – mit einem grossen Ja umarmt. Ein Rühren vielleicht an den Geborgenheitsglanz.

Ich danke für das Gespräch.

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