Am Abend ist Jesus allein

Pfarrer Jürgen Hoffmann

Jürgen Hoffmann ist Pfarrer der evangelischen Tersteegen-Kirchengemeinde in Düsseldorf. Ich freue mich, dass Herr Hoffmann damit einverstanden ist, dass ich einen seiner täglichen spirituellen Impulse als aktuellen Beitrag (Mai 2023) für die Rubrik “An(ge)dacht” verwenden darf.

Am Abend ist Jesus allein

“Als Jesus das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein.” (Matthäusevangelium 14, 23)

Nach einem langen Tag mit vielen Menschen und deren Erwartungen, Hoffnungen, Sorgen um sich herum, braucht Jesus eine persönliche Auszeit. Einen ganzen Tag lang für andere da sein, das heißt: zuhören, reden, Mut machen, heilen, segnen, trösten. Einen Tag lang immer nur geben, das kostet Kraft. Den Hunger anderer zu stillen, die vielen Erwartungen zu erfüllen, sich überhaupt einer Menschenmenge auszusetzen, sich körperlich nahe zu kommen – das geht auch an Jesus nicht spurlos vorbei.

Am Ende eines solchen Tages heißt es: Auftanken, selbst wieder zu sich finden, zu den eigenen Kraftquellen vordringen, sich auf sich selbst besinnen. Wer sich anderen aussetzt, muss mit sich im Reinen sein, muss wissen, an wen er sich wenden kann.

In Gemeinschaft leben und allein sein können – es braucht beides. 

Jesus zieht sich zum Beten in die Stille zurück. Keine Menschen, nicht einmal seine Jünger – nur er und Gott.

Im Gespräch mit seinem himmlischen Vater bekommt Jesus die Kraft zurück, findet er wieder zu sich selbst, kann er auftanken. Hier bei Gott findet er die Quelle für die täglichen Herausforderungen. Diese Verbundenheit, die Stille, die Zeit ohne andere Menschen, das Gebet – das ist es, was Jesus stark macht. Und auch uns stark machen kann.

“Am Abend ist Jesus allein.” Dieses Alleinsein bedeutet keine Einsamkeit. Für Jesus ist es eine Notwendigkeit in die Stille zu gehen.

Ich denke an Menschen, die das Alleinsein kaum aushalten können, aber auch an andere, denen es schwerfällt, überhaupt in Gemeinschaft zu sein, die lieber für sich allein bleiben.

Dietrich Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer
Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1987-074-16 / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 146-1987-074-16, Dietrich BonhoefferCC BY-SA 3.0 DE

Dabei denke ich an Dietrich Bonhoeffer, der über dieses Verhältnis von Alleinsein und in Gemeinschaft sein gesagt hat: “Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.“ In Gemeinschaft leben und allein sein können – es braucht beides.